: Ganz viel Platz für Musik
Die Popkomm als Hoffnungsträger der Musik – und Medienhauptstadt: Sony Music geht, Premiere kommt nicht, Viva wohl auch nicht. Reißen die Indies und kleinen Labels die Branche aus der Krise?
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Wenn heute Abend die Musikmesse Popkomm mit einer Riesenparty eröffnet, wenn heute zum Auftakt in der Deutschlandhalle die Stars der Szene „Die Fantastischen Vier“ aufspielen, und wenn am Mittwoch Bundesarbeitsminister Clement gewichtig die Musikbranche als Motor des wirtschaftlichen Aufbruchs loben wird, fällt gleichzeitig ein Schatten auf die hauptstädtische Medienwirtschaft.
Es ist ein herber Schlag für den Musik- und Medienstandort Berlin, dass ausgerechnet jetzt Sony Music Abschied nimmt vom Potsdamer Platz und seine Zentrale nach München verlegt. Und schlimmer noch. Wer sich quasi als Kompensation erhoffte, dass der private Fernsehsender Premiere mit 500 Mitarbeitern von der Isar an die Spree zieht oder der Musikkanal Viva aus Köln dem folgt, wird enttäuscht. Gestern entschied Premiere-Chef Georg Kofler, dass Premiere seine neue Unternehmenszentrale in München errichten werde. Das sei das Ergebnis einer mehrmonatigen Standortüberprüfung. „Damit hat Premiere eine langfristige Weichenstellung vorgenommen“, sagte Kofler. „Wir können alle Leitungsfunktionen an einem Standort bündeln.
Gleichzeitig ist es noch mehr als fraglich, ob Viva sich wirklich am Osthafen zwischen Universal oder MTV einrichtet. Viva sitzt derzeit noch in Köln. Seit August gehört es zu dem US-Medienkonzern Viacom. Catherine Mühlmann, Geschäftsführerin der Musik-Clip-Kette aus MTV, MTV2pop, Viva und Viva plus will die Clips konzentriert von Berlin aus führen. Nur wann, wie und überhaupt steht in den Sternen.
Ob die Popkomm nach dem Aus in Köln und mit ihrem „Neustart in Berlin“ die Standortkonkurrenz zwischen Berlin, München, Hamburg und Köln zugunsten der Spreemetropole beeinflussen kann, ist eine Hoffnung aber kein Garant, sagen Musikunternehmer wie etwa Raik Hölzel von Kitty-Yo. Nach dem uninspirierten Niedergang in Köln spiele in Berlin zwar die Musik, zugleich müssten Messe und Labels „neu strukturiert“ werden.
Rund 650 Aussteller aus 40 Ländern sind dabei. 15.000 Besucher werden in den Messehallen unter dem Funkturm erwartet. 400 Stunden Musik und Musiker dröhnen in den Klubs und auf Festivals. Aber die schiere Masse auf der Messe und der selbst ernannte Musikstandort Berlin bilden keine Sicherheit, die Hauptstadt zum Mekka oder Geschäftszentrum des Pop werden zu lassen. Heute entscheiden Sender und Labels nicht mehr patriotisch, sondern gehen dahin oder bleiben dort, wo die meisten Subventionen fließen – siehe Sony Music oder Premiere.
Eine Popkomm mit Perspektive sehen Experten der Musikunternehmen vielmehr darin, sich von den Gesetzen des bisherigen Marktes zu distanzieren. Weil der Umsatz der Musikbranche mit den klassischen Tonträgern in den vergangenen sechs Jahren um 40 Prozent zurückging und das Gebaren der Majors – die Musik und ihre Produzenten geradezu zu verramschen und nur den internationalen Markt im Auge zu haben – die Krise noch beschleunigte, ist ein Umsteuern der mögliche Ausweg.
Der Aufbau und die Pflege der Künstler, wie sie die Independent Labels auf ihre Fahnen schreiben, die individuelle und lokale Arbeit und die Bildung von gemeinsamen PR-Agenturen und Netzwerken untereinander, seien zu den Majors die Alternativen, die heute geschätzt würden, argumentiert Hölzel. Außerdem stiegen zum Teil deren Umsätze.
Daraus hat die Popkomm gelernt. Die „Indies“ werden wie nie auf der Messe mit eigenen Konzerten, Veranstaltungen und dem „Indi-Labelcamp“ präsentiert.