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Archiv-Artikel

Jagd auf die „Ruander“ des Kongo

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo nehmen „ethnische Säuberungen“ gegen die ruandischstämmige Minderheit zu. Die Gewalt fällt zusammen mit der Anerkennung der Bürgerrechte dieser Minderheit durch Kongos Übergangsinstitutionen

VON DOMINIC JOHNSON

Als sie nach Hause kamen, wurden sie als Feinde empfangen. 356 kongolesische Banyamulenge-Flüchtlinge, die am Montag aus Burundi in ihre Heimat zurückkehrten, stießen in der kongolesischen Grenzstadt Uvira auf Demonstranten, die mit Steinen warfen. Vier Kinder und zwei Erwachsene wurden verletzt, Soldaten mussten den Weg freischießen und schließlich kamen die Rückkehrer unter UN-Schutz.

Die Banyamulenge waren im Juni aus dem Ostkongo nach Burundi geflohen. Aber in der Nacht zum 14. August wurde dort ihr Flüchtlingslager Gatumba von burundischen und kongolesischen Milizionären überfallen, 164 Menschen starben. Seitdem wollen sie zurück nach Hause. Doch die lokalen Autoritäten in der Stadt Uvira wollten keine „Ruander“. Eine Kirche, in der die Rückkehrer wohnen sollten, wurde Ende letzter Woche verwüstet; es gab Flugblätter mit der Parole „Saubere Stadt ohne Banyamulenge“. Es bedurfte einer Regierungsanordnung aus der fernen Hauptstadt Kinshasa, damit die Rückkehrer doch kongolesisches Gebiet betreten durften.

Die ostkongolesische Provinz Süd-Kivu, in der Uvira liegt, ist eine Hochburg jener politischen Kräfte, die die komplette Entfernung aller Banyamulenge und anderer Angehöriger der ruandischstämmigen Minderheit aus dem Ostkongo betreiben, weil sie alle Ruandischstämmigen für eine fünfte Kolonne Ruandas halten. Lokale Milizen, die „Mayi-Mayi“, führen unter dem Deckmantel ihrer Integration in Kongos im Entstehen begriffene Regierungsarmee Vertreibungen durch – im Bündnis mit ruandischen Hutu-Milizen, die aus dem Kongo heraus die Regierung Ruandas stürzen wollen.

Aus der Region Kalehe nahe der Grenze zwischen Süd-Kivu und Nord-Kivu haben die Milizen nach Schätzungen von Hilfswerken bis zu 150.000 Ruandischstämmige nach Nord-Kivu vertrieben. Das Hilfswerk Oxfam meldete Ende letzter Woche allein aus dem Bergdorf Ngungu die Ankunft von 20.000 Flüchtlingen im Verlauf von zwei Wochen. Die Flüchtlinge berichteten, ihre Dörfer seien mit Artillerie beschossen und dann von „unkontrollierten Elementen“ der Regierungsarmee geplündert worden.

Es gebe ein Massengrab mit 38 Toten, hieß es in einem von der kongolesischen Zeitung Le Phare wiedergegebenen Bericht. Die 65-jährige Flüchtlingsfrau Générose Rwamakuba erzählte, sechs betrunkene Soldaten hätten eine ihrer Töchter vergewaltigt und ihren Hof angezündet. Sie hätten ihrem Ehemann vorgeworfen, eine Tutsi zur Frau zu haben, wo er doch zur Ethnie der Batembo gehöre. Am Wochenende traten viele Flüchtlinge in Ngungu erneut die Flucht an, nachdem ruandische Hutu-Milizionäre das Lager angriffen und 60 Menschen töteten.

Beobachter schätzen, dass die radikalen Milizen in Süd-Kivu die Provinz von „Ruandern“ säubern wollen, bevor die Wählerregistrierung für Kongos bis Juni 2005 geplante freie Wahlen beginnt. Am Wochenende verabschiedete das Unterhaus des kongolesischen Übergangsparlaments nach monatelangem Streit ein kontroverses Nationalitätengesetz, das entsprechend dem geltenden Friedensvertrag allen Bewohnern des Kongo, deren Ethnie zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1960 auf kongolesischem Gebiet beheimatet war, die Staatsbürgerschaft gibt. Dies schließt die Ruandischstämmigen des Ostkongo ein – sehr zum Missfallen ihrer Gegner. Die Abgeordneten der Mayi-Mayi-Milizen, die als Unterzeichner des Friedensvertrags Teil der Allparteienregierung sind, zogen aus Protest aus dem Parlament aus, und ihr bewaffneter Flügel schafft nun vor Ort Fakten: Möglichst wenig „Ruander“ sollen in Süd-Kivu leben. Sie sollen lieber nach Nord-Kivu gehen, wo sie ohnehin die größte ethnische Gruppe sind.

Die Rückkehrer in Uvira konnten die Radikalen wegen der Aufmerksamkeit der UNO nicht fernhalten. Aber an der Landstraße, die aus Nord-Kivu den Kivu-See entlang nach Süd-Kivu führt, hatten sie es letzte Woche einfacher, wie Reisende berichteten: An einer Straßensperre baten Soldaten jeden Mann in einen Verschlag. Dort musste er seinen Penis vorzeigen. Wer nicht beschnitten war, war ein „Ruander“ und durfte nicht nach Süd-Kivu.