Wundertätige werden weniger

Kaum jemand macht den Frankfurtern noch Hoffnung, ein Silicon Valley an der Oder zu werden. Die klammern sich an die Aussicht auf eine Light-Version

von MICHAEL BARTSCH

„Hundert Transistoren aus DDR-Produktion – nur 1,95 EUR im Sortiment!“ Der „Pollin“-Bastlerversand bietet sie heute noch an, die einst begehrten Produkte aus dem VEB Halbleiterwerk Frankfurt (Oder), die einst die Basis der DDR-Elektronik bildeten. 8.000 Menschen waren hier einmal beschäftigt. Von ihnen blieben nach der Wende nur etwa 30 Minifirmen und das 1983 gegründete Institut für Halbleiterphysik (IHP). Es kam 1991 auf die gemeinsam von Bund und Land finanzierte Blaue Liste. Ein Iraner mit amerikanischem Pass und internationaler Marketingerfahrung namens Abbas Ourmazd übernahm 1995 die Geschäftsführung.

Mit ihm begann der neue Traum Frankfurts, ein Silicon Valley an der Oder zu werden. Im IHP wurde eine inzwischen patentierte Technologie für einen Superchip der Mobilfunkbranche entwickelt. Ourmazd aber wollte sie nicht verkaufen, sondern selbst produzieren. Die Idee der mit 1,3 Milliarden Euro größten Privatinvestition in Ostdeutschland nahm im August 2002 Gestalt an. Zur Grundsteinlegung reisten Bundesbildungsministerin Bulmahn, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck und sogar Mitglieder des Königshauses aus Dubai an. „Wir haben eine Mission zu erfüllen“, orakelte Ourmazd damals, der zugleich zum Interimsvorstandsvorsitzenden der Communicant AG berufen worden war, das 2001 gegründete Betreiberunternehmen. Er wollte die „Region als Hochtechnologiestandort etablieren“.

Balsam für die zu mehr als 20 Prozent von Arbeitslosigkeit betroffenen Frankfurter, von denen sich in kürzester Frist gleich 5.000 um die angekündigten 1.300 Arbeitsplätze bewarben. Nach wie vor hoffen sie auf das „Wunder an der Oder“. Die Stadt hat bereits 10 Millionen Euro in das Gewerbegebiet und die Infrastruktur investiert. Eine Bürgerinitiative sammelte in der letzten Woche mehr als 6.000 Unterschriften, schrieb dem Kanzler und veranstaltete am Wochenende ein symbolisches Richtfest an dem bereits weitgehend fertig gestellten Rohbau. Motto: „Ja oder Ja!“ Doch Ministerpräsident Platzeck konnte „noch keine guten Nachrichten“ überbringen. Ähnlich offen war ein Besuch von Bundeskanzler Schröder in Dubai Anfang Oktober ausgegangen. Knackpunkt ist die Gewährung einer staatlichen Bürgschaft im Umfang von mehr als 600 Millionen Euro, über die heute der interministerielle Bürgschaftsausschuss mehrerer Bundes- und Landesministerien in Berlin entscheiden soll.

Denn die Euphorie ist längst verflogen. Da ist zum einen die ungeklärte Finanzierung. Die Scheichs aus Dubai tragen 250 Millionen Dollar. Im Vertrag ist die parallele Errichtung einer baugleichen Fabrik im Emirat vorgesehen. Der Intel-Konzern ist mit 40 Millionen Dollar beteiligt. Dann beginnt bereits das öffentliche Finanzrisiko. Zum eher bescheidenen Eigenkapitalsockel trägt die Landesinvestitionsbank Brandenburg mit 38 Millionen Euro bei und bürgt noch mit 37 Millionen. 320 Millionen Euro direkter Fördermittel sind außerdem bei der EU beantragt. Ein Bescheid ist noch nicht ergangen. Für die restlichen 750 Millionen Investitionskosten verlangt ein internationales Bankenkonsortium jene umstrittene 80-prozentige staatliche Bürgschaft. Offenbar sind auch private Geldgeber vom Erfolg des Unternehmens wenig überzeugt.

Auffällig ist, dass die Marktchancen der Frankfurter Fabrik erst in den letzten Wochen öffentlich immer schlechter beurteilt werden. Schon zwei Jahre kämpft etwa die Volkswirtin und fraktionslose PDS-Landtagsabgeordnete Esther Schröder gegen das Prestigeprojekt. „Luftschlösser“ sollten endgültig aus der Förderung gestrichen werden, verlangt sie. Ihr Kronzeuge ist der Patentrechtsexperte Wolfgang Winzer aus Erlangen, der langjährige Erfahrungen bei Siemens sammeln konnte. Er meint, dass vor allem das undurchsichtige Vertragswerk gegen das Projekt spricht.

Das Frankfurter IHP-Institut hat für seine damals neue Technologie nicht nur Communicant, sondern inzwischen auch den Konzernen Intel und Motorola aus den USA eine Lizenz erteilt. Diese fehlende Exklusivität bremse jeden anderen Investor aus, so Winzer. Die IHP-Technologie vereint das so genannte CMOS- und das bipolare Verfahren, die weltweit getrennt bereits eingesetzt werden. Für die Großfertigung musste daher eine Lizenz beispielsweise bei Intel teuer erworben werden. Mit enormen 6 Prozent Umsatzbeteiligung nämlich, obwohl nach Winzers Erkenntnissen das Intel-Verfahren ebenfalls noch nicht praxisreif und damit wertlos ist.

Der Deal liefe damit auf eine Aneignung der Frankfurter Technologie durch die Amerikaner bei fragwürdigen Gegenleistungen hinaus. Erst jetzt sickern Ergebnisse einer Analyse durch, mit der die Bundesregierung das Marktforschungsinstitut Gartner beauftragt hat. Es kann einen Wettbewerbsvorteil für die Frankfurter Chipfabrik auf dem heiß umkämpften Markt nicht erkennen. Außerdem hätten Konkurrenten gegen die außergewöhnlich hohe staatliche Förderung protestiert.

Die sitzen nicht weit. In Dresden ist erst vor Wochenfrist das weltweit modernste Maskenzentrum für Chips von AMD eingeweiht worden. AMD und die Siemens-Tochter Infineon allerdings genossen Mitte der Neunziger selbst enorme Subventionen von je 800 Millionen Mark und fahren jetzt erst in die Gewinnzone. Martin Rosenfeld vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle verweist auf das weitaus günstigere Umfeld von Zulieferern und direkten Nachnutzern in der Region Dresden, die den Großunternehmen auch eine regionale Verankerung sichere. Solche Voraussetzungen seien in Frankfurt nicht gegeben.

Ministerpräsident Platzeck hat bereits angedeutet, worauf die heutige Entscheidung im Bürgschaftsausschuss hinauslaufen könnte. Zur Wahrung des Gesichts und als Trostpflaster für die Frankfurter wird wohl eine Chipfabrik light kommen. Es darf gewettet werden, wann auch diese Verlegenheitsvariante samt Steuergeldern als Freizeitpark wie die CargoLifter-Halle endet.