: 150 Jahre Überfluss
Die Marke Louis Vuitton symbolisiert die größtmögliche Distanz zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital
Würde es das Wörtchen „Overstatement“ tatsächlich geben, die Herausgeber eines etymologischen Wörterbuchs müssten nicht lange nach seiner Herkunft fahnden: Bald schon würden sie auf Louis Vuitton stoßen. Und auf dessen verschlungenes, gerne goldenes und neuerdings sogar pinkfarbenes Logo, das bereits auf der kleinen Vuitton-Tasche zum kleinen Schwarzen zweiunddreißigmal zu finden ist. Vom opulenten Schrankkoffer gar nicht zu reden. Denn eigentlich sind die Produkte aus dem Hause Louis Vuitton seit nun schon 150 Jahren lederne Logotapeten, in die man zufällig noch etwas hineinstecken kann. Seinen Chihuahua zum Beispiel. Was wären Paris Hilton und Britney Spears ohne ihre Hundehütten für unter den Arm? Vermutlich zumindest ein kleines bisschen weniger lächerlich.
Nun ist das Lächerliche an sich aber gerade Resultat von gesellschaftlichen Übereinkunften. Und eine tatsächlich global gültige Übereinkunft scheint zu lauten, das Louis-Vuitton-Taschen, wenn schon keinen guten, so zumindest einen ökonomisch ausreichend unterfütterten Stil kommunizieren. Längst sind die 1854 in die Pariser Bourgeoisie eingeführten Statussymbole so omnipräsent wie die Polohemden mit dem Krokodil oder die goldenen Rolex-Uhren mit dem Schausteller-Appeal. Schauen Sie sich nur mal auf einem Markt in Thailand um. Oder in Polen. Und manchmal sind die imitierten Dinger gar nicht mal schlecht verarbeitet.
Nachgemachte Vuitton-Taschen stehen deshalb hoch im Kurs, weil bereits die Idee der Vuitton-Taschen an sich die Idee des Nachahmens ist. Hier geht es nicht um raffinierte Schnitte oder versteckte Details, hier geht es nicht mal um eine verschworene Kennerschaft des Edlen und Guten. Hier geht es schlicht um die Botschaft, mit im Boot – besser: in der Luxusjacht mit der Holzvertäfelung und den Champangerkühlern – zu sitzen. Um es mit Pierre Bourdieu zu sagen: Vielleicht liefert die Marke Louis Vuitton im 150. Jahr ihres Bestehens längst das Symbol für die größtmögliche Distanz zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital.
Und weil dem so ist, haben wahre Kenner eines exklusiven Lebensgefühls längst ein ambivalentes Verhältnis zur Marke entwickelt: Sie verschmähen die Auslagen in Warenhäusern und Duty-Free-Shops – und kaufen stattdessen historische Vuitton-Taschen aus den Zwanzigerjahren oder – noch exklusiver – aus dem Fin de Siècle. Wo es so was gibt? Nicht bei eBay – eher schon beim Poloturnier in St. Moritz. CLEMENS NIEDENTHAL