: Russischer Gigant
Die Ermittlungen der russischen Staatsanwaltschaft gegen Yukos treffen einen der größten und kapitalstärksten Ölkonzerne der Welt ins Mark
von BARBARA KERNECK
Noch am 10. April hatte Präsident Putin ihr herzlich zum 10. Geburtstag gratuliert – der russischen Ölgesellschaft Yukos. „Indem sie kompetent moderne wissenschaftliche und technische Errungenschaften anwendet, beschreitet die Yukos zuversichtlich den Weg des stabilien Wachstums“, hieß es in der präsidialen Glückwunschadresse. Und weiter: Effektive Arbeitsorganisation, hohe Professionalität und die Verantwortungsbereitschaft ihrer Angestellten ermöglichen es der Gesellschaft, ihre Position auf in- und externen Märkten nicht nur zu halten, sondern auszubauen. Tatsächlich hatte die Yukos in einigen Sektoren das ihr von Putin attestierte Weltniveau und in anderen sogar mehr als das. Zum Beispiel verfügte Yukos über doppelt so viel liquides Geld wie westliche Ölfirmen vergleichbarer Größe.
Bereits früher in diesem Jahr war durch eine Verschmelzung der Firma Yukos mit einem anderen russischen Ölgiganten, mit der dem Kreml-Oligarchen Roman-Abramowitsch gehörenden Firma Sibneft, die größte Ölgesellschaft Russlands und eine der größten der Welt entstanden. Beide Gesellschaften entstanden während der undurchsichtigen Privatisierungsauktionen staatlicher UdSSR-Ölfirmen in der ersten Hälfte der 90er-Jahre. Abramowitsch gilt als Angehöriger der so genannten „Familie“, das heißt der aus der Jelzin-Ära im Kreml verbliebenen Machtelite. Deren Mitglieder sollen in letzter Zeit vermehrt mit Putins engsten Ratgebern aus St. Petersburg und den Geheimdiensten konkurriert haben.
Experten sahen in der Fusion vor allem einen Versuch der beiden Tycoons, ihre Positionen vor den kommenden Präsidentenwahlen zu stärken und Putin an einer Revision der alten Öl-Privatisierungs-Deals zu hindern. Gleichzeitig wurde das neue Gebilde auf dem internationalen Markt unvergleichlich konkurrenzfähig. Chodorkowski selbst gab allerdings Anfang des Jahres in einem Interview mit der Moscow-Times zu, dass seine Gesellschaft nicht noch mehr Öl brauche, sondern eine Modernisierung ihres Verteilernetzes und ihrer Außenniederlassungen. Aus diesen Gründen mache es mehr Sinn, so sagte er damals, sich mit ausländischen Firmen zusammenzutun.
Nach westlichen Zeitungsberichten soll Chodorkowski vor seiner Verhaftung mit US-Konzernen über den Verkauf von 20 Prozent der Yukos-Aktien verhandelt haben, der Konzern selbst bestreitet das. Noch gestern früh hatte die Yukos eine Rekordausschüttung von Dividenden in Höhe von zwei Milliarden Dollar angekündigt. Als eine der höchsten in der Geschichte russischer Privatfirmen hätte diese alle Erwartungen weit übertroffen. Michail Chodorkowski persönlich, der 37 Prozent der Aktien der Firma hält, hätte von der Ausschüttung 730 Millionen Dollar eingeheimst. Sein eigenes Vermögen wurde von der US-Zeitschrift Forbes auf acht Milliarden Dollar geschätzt.
Boris Nemzow, Vorsitzender der manchester-liberalen „Union Rechter Kräfte“, die sich bisher mit den deklarierten Reformen Putins und dem in Worten pro-westlichen Kurs des Präsidenten solidarisch erklärt hatte, bot der Staatsanwaltschaft seine persönliche Bürgschaft für Chodorkowski an. Nemzow reichte eine Petition mit der Bitte ein, den Yukos-Chef von der Haft zu verschonen. Er garantiere, dass Chodorkowski sich auch auf freiem Fuß den Normen des russischen Strafrechtes beugen und sich für Verhöre bei der Staatsanwaltschaft einfinden werde. Nemzow sagte, Chodorkowski gefährde nicht das Leben und die Sicherheit anderer Bürger und er habe nicht die Absicht, Russland zu verlassen.