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Archiv-Artikel

Auf dem Ramsch-Transit

Pepa klagt über die deutsche Sparsamkeit: „Ich muss inzwischen länger warten, bis eine Fuhre voll ist“

aus Dresden und ZinnwaldMICHAEL BARTSCH

Missmutig zurrt Pepa die Ladung fest und versucht, beim Bücken um seinen mächtigen Bauch herumzukommen. Viel hat er heute nicht eingesammelt. Eine Kühl- und Gefrierkombination, ein Schränkchen – auf dem nagelneuen Anhänger, der größer wirkt als der davorgespannte Skoda Felicia, ist noch reichlich Platz. „Der ist geborgt“, entschuldigt sich Pepa beinahe für die Top-Transportausrüstung. Ein Kinderdreirad und einen noch ganz anständig aussehenden Staubsauger lässt er stehen.

Doch auch die zwei Sachen finden einen Abnehmer. Honzas Anhängergespann entspricht eher dem vertrauten Bild. Mit Mühe scheint sich die Holzverschalung auf der wackligen Anhängerachse zu halten. Die Roststellen am Kotflügel des Lada, Baujahr 1984, sind mit viel Epoxidharz geflickt und sorgsam in Himmelblau überlackiert worden. Honza tätschelt die russische Zugmaschine wie einem Pferd die Hinterbacken. „Gute Auto!“, lobt er. Das tschechische Kennzeichen verrät seinen Herkunftsort: Teplice am Fuß des Erzgebirges.

Honza war heute erfolgreicher als Pepa. Die helle Couchgarnitur überfordert eigentlich den Anhänger. Und mehr als das blaue Sofa hält auch ein Lada-Dach nicht aus. Hier im Norden der Dresdner Albertstadt, an der Deponie Hammerweg , auf Amtsdeutsch „Wertstoffhof“, startet fast täglich eine besondere Karawane deutsch-tschechischer Entwicklungshilfe. Dunkelhäutige Männer, manchmal begleitet von Frauen, lehnen an ihren Autos und warten auf deutschen Wohlstandsmüll. Bevorzugt am Sonnabend, wenn aus sächsischen Wohnzimmern nach einer Neuanschaffung Überflüssiges entsorgt wird. Manche „Kunden“ fahren gezielt hierher, einer sogar aus dem 20 Kilometer entfernten Meißen. „So spare ich 10,50 Euro für die Entsorgung eines Kühlschranks und mache außerdem den Tschechen eine Freude.“

Mit dieser Bezeichnung liegt er allerdings nicht ganz richtig, denn die Ramsch-Spediteure sind in ihrer Mehrzahl tschechische Roma. Der Mann, der das Kinderdreirad abgibt, berichtet, dass er eher zufällig auf diese alternative Entsorgungsmöglichkeit stieß. „Die winkten heftig am Straßenrand, und ich dachte, die brauchen Hilfe.“ In der Tat lenken Honza und Pepa so immer wieder Leute auf dem Weg zur offiziellen Deponie um. Und wer dann etwas Ordentliches anzubieten hat, kann sich nicht nur Entsorgungsgebühr und Sperrmüllregistrierung sparen, sondern auch noch ein Schnäppchen machen. „100 Mark habe ich schon mal für eine Sofaecke bezahlt“, berichtet Pepa.

Jan gehört zu den wenigen Tschechen, die auf dem Ramsch-Transit unterwegs sind. Jede Woche fährt er 300 Kilometer aus dem Altvatergebirge in den Dresdner Raum, um als Handwerker alle möglichen Schwarzarbeiten zu verrichten, zu denen sich deutsche Fachidioten nicht mehr in der Lage sehen. Auf dem Rückweg ist sein uralter Opel-Pick-up stets mit dem beladen, was Arbeitgeber und Kollegen für ihn sammeln. Zu Hause in der Scheune erwacht unter seinen Fingern auch ein defektes Kühlaggregat zu neuem Leben. Er sagt, die Roma zählen zu seinen häufigsten Kunden.

Mirek ist ebenfalls Tscheche. Ihn trifft man unweit des Dresdner Wertstoffhofes an der Stauffenbergallee, die deutsch-tschechische Handelsstraße schlechthin. Denn hier läuft nicht nur das Sperrmüllgeschäft, die Allee funktioniert auch als „Anbahnungszone“. Mitreisende, zumeist aber wenig mitreißende Frauen aus dem Nachbarland bieten hier die schnelle Sexualdienstleistung im Wohnwagen.

Mirek ist schon zwei Wochen hier. Aber kein Wohnwagen, ein 200er Mercedes, der früher einmal weiß gewesen sein muss, dient ihm als Quartier. Er sammelt Hausrat für eine größere Fuhre. Das Elbhochwasser vom vorigen Sommer habe ihn in der Nähe von Decin schwer getroffen, berichtet der Mittvierziger. „Ich habe so ziemlich alles verloren.“ Ihm gehe es vor allem um den Eigenbedarf. In einem Torbogen einer der Kasernen, die einst dank der französischen Reparationen nach dem Krieg 1871 vom Sachsenkönig Albert erbaut wurden, hat er ein kleines Warenlager aufgeschlagen. Bis 1992 waren hier Sowjetsoldaten untergebracht. Bis auf die Wohnwagen aus Böhmen und ihren Bewohnern herrscht nun gespenstische Leere. Das Dresdner Ordnungsdezernat hat aber inzwischen ein waches Auge auf die Gegend geworfen und schon mit Platzverweisen und Ordnungsstrafen durchgegriffen. Nicht nur wegen des Strichs, auch weil eine Zeit lang all das, was auch tschechische Händler nicht wollten, kurzerhand in die Büsche flog.

Denn Honza oder Mirek laden nicht wahllos ein. Gut erhaltene Möbel gehen immer, erzählen sie, und ein zehn Jahre alter Fernseher sei allemal besser als die meisten in Böhmen. Bei Elektrogeräten fangen die Probleme allerdings an. Arbeitet der Kühlschrank wirklich ohne FCKW? Geht er überhaupt? Nicht jeder kann so reparieren wie Jan.

Um die Mittagszeit ist Aufbruch. Ungefähr zweimal die Stunde lässt sich dann eines der abenteuerlich beladenen Gespanne auf der Bundesstraße 170 beobachten. Sie fahren in Richtung der beiden Grenzübergänge auf dem Kamm des Osterzgebirges in Zinnwald oder Bahratal. Wenn sie nicht gerade die Absicht hätten, Kokain in den Polstern zu verstecken, meint ein tschechischer Zollbeamter, seien die Fuhren völlig legal. Das Misstrauen vor allem gegenüber den tschechischen Grenzern ist bei den Händlern dennoch groß.

Unbeachtet vom deutschen Zoll – „Es gibt keine Anzeichen, dass die Transporte für Schmuggeleien genutzt werden“, heißt es dort – fährt die Karawane in Zinnwald gleich zu den tschechischen Kollegen vor. Franta, ein anderer Roma, steigt aus dem roten Lada und zeigt die „Frachtpapiere“ für das halbe Wohnzimmer, das er auf seinen Anhänger gestapelt hat. Er hat sich am Wertstoffhof von den ehemaligen Eigentümern eine Schenkungsbescheinigung ausstellen lassen, in einem Fall legt er sogar eine Quittung über den Kaufpreis vor. Der junge Zollbeamte sieht auf die Zettel, grinst breit und zuckt die Achseln. Ein kurzer, prüfender Blick auf den Anhänger, einmal die Nase in den Lada gehalten, dann kommt der lässige Wink zum Passieren. So schlimm kann die Angst vor der Grenze nicht sein.

Jenseits des Erzgebirgskamms endet dann die Auskunftsbereitschaft der Müllverwerter. Wo fahren sie die zweite Wahl aus deutschen Landen hin? Auf dem Weg hinunter nach Dubi, vorbei an den Strichpensionen und den Händlern, die Schnaps und Gartenzwerge anbieten, was sie für typisch deutsch halten, möchten Pepa und Honza lieber unter sich sein. So, wie sie jedes Foto von sich und ihren Fuhren strikt ablehnen. Schlechte Erfahrungen mit der tschechischen Presse, begründen sie die Vorsicht.

Wer die meist schlimm aussehenden Wohnruinen der Sinti und Roma in Nordböhmen sieht, kann sich denken, wo die Fuhren landen. Schon in Dresden folgte auf die Frage nach der Verwertung viel sagende Verlegenheit. Gewinn bringender Verkauf? Aber nein, wer denkt denn an so etwas? Es ist die große Familie, die versorgt werden muss. Die arme Oma, die nicht mehr arbeiten kann. Der tschechische Grenzer in Zinnwald erklärt, die „Zigeuner“ würden selbstverständlich unter ihresgleichen mit den deutschen Wertabfällen handeln. „Ich würde das nicht mehr kaufen!“

Nur so viel wollen Honza und Pepa noch über ihr Metier berichten: Das Geschäft laufe schlecht. Der Euro mache auch ihnen zu schaffen und die neue Sparsamkeit der Deutschen, klagt Pepa. „Ich muss inzwischen länger warten, bis eine Fuhre voll ist.“ Stagnieren nur die „Zulieferungen“, oder stockt auch der Absatz in Tschechien? Ja, ja, das sei „Scheiße“, stimmt Honza zu. Nicht weil auch im Böhmischen allmählich der Wohlstand ausbricht und niemand mehr den Plunder haben will. Im Gegenteil. Auch zu Hause Kaufzurückhaltung auf ganzer Linie.

Eine Verkäuferin verdiene nach wie vor nicht mehr als 3.000 bis 4.000 Kronen, das sind kaum mehr als 100 Euro im Monat, sagt Honza. Auch vom EU-Beitritt versprechen sich die Händler keine Besserung. Zumindest nicht für die Ärmsten. „Die da oben sahnen doch alles ab!“