: Ami, come home!
Noch nie zuvor waren Exil-Amerikaner so umworben wie bei dieser US-Wahl. Und noch nie zuvor fühlten sich so viele verpflichtet, ihren Präsidenten abzuwählen. Damit sind sie in Deutschland gut aufgehoben – es sei denn, sie wählen republikanisch
VON MIA RABEN
Andrew Horn trägt den Grund für seine Beunruhigung in seiner Jackentasche: ein Stück Papier. Der Dokumentarfilmer aus New York holt es hervor, legt es auf den Holztisch eines Berliner Cafés und liest vor: „Das Volk kann immer unter den Befehl der Führer gebracht werden. Es ist einfach. Sag dem Volk, dass es angegriffen wird, und denunziere die Pazifisten als Vaterlandsverräter und als Gefahr für das Land. Es funktioniert in jedem Land.“ Er liest die Worte so, als seien sie eine geheime, sehr bedrohliche Botschaft.
Es handelt sich um einen Auszug aus einem kürzlich erschienenen Interview mit Norman Mailer, dem ebenfalls aus New York stammenden Schriftsteller und scharfen Kritiker der amerikanischen Gesellschaft. Mailer zitierte dort Hermann Göring, der während der Nürnberger Prozesse erklärt hat, wie man ein friedliebendes Volk von der Notwendigkeit eines Krieges überzeugt. Präsident Bush, sein Volk und der Irak: die Umsetzung dieser grausigen Anleitung?
Sorge um das geliebte Land
In den Wochen vor dem großen Wahltag in den USA verkünden links orientierte Amerikaner auch in Berlin daher vor allem die eine Botschaft: „Bush muss weg!“ Dass ihre Alternative John Kerry immer mehr an Glanz verloren hat, kann sie nicht beirren. Oft lauthals, manchmal fassungslos, ein wenig paranoid, aber immer mit einer gesunden Portion Pathos sorgen sie sich um ihr geliebtes Land, das sich einfach ohne sie weiterentwickelt hat. Währenddessen plaudern die Exil-Republikaner in Deutschland über das „Nach der Wahl“, beschweren sich über die Vorurteile der Deutschen und flirten mit der FDP.
Im „Kanzlereck“ im Regierungsviertel zum Beispiel halten die „Republicans Abroad“ ihren Stammtisch. Das anwesende Fernsehteam bringt keinen aus der Ruhe. Von Hektik vor der Wahl: keine Spur. Jan Burdinski von der FDP hat sich vergangenen Sommer den „Republicans Abroad“ angeschlossen. An Amerika mag er, dass dort jeder seines Glückes Schmied ist. Nein, er sei nicht gegen die Homoehe, erklärt er. Auch die christliche Ideologie vieler Republikaner läge ihm nicht besonders. Dann spricht er mit seinen amerikanischen Kollegen über eine kommende Podiumsdiskussion und ein Golfturnier in Motzen bei Berlin, das „für alle Republikaner“ geplant sei – und verbessert sich hastig: „Äh, alle Amerikaner meine ich natürlich.“
Im Gegenlager ist die Aufregung umso größer. Vor allem bei jenen Bush-Gegnern, die politisch aktiv sind. Da die vergangene Wahl im alles entscheidenden Staat Florida mit Hilfe der Briefwähler knapp ausging, sind die so genannten Absentee Voters besonders umworben. Denn auch für den 2. November zeichnet sich eine dünne Mehrheit ab. Überall dort, wo Amerikaner leben, versuchen Wahlinitiativen wie die „American Voices Abroad“ (AVA) so viele US-Bürger wie möglich zum Wählen zu bringen. Denn dafür müssen sie sich aktiv registrieren lassen.
Bei dieser massiven Mobilisierung des Wahlvolks (siehe Kasten) bleibt die Neutralität schon mal auf der Strecke. An einem regnerischen August-Wochenende in Berlin beispielsweise flüchteten Wahlhelfer in die Schutz spendenden Räume eines Ladens, der Anti-Bush-T-Shirts verkaufte, um dort Amerikaner für die Wahl zu registrieren. Dieser Fauxpas sprach sich scheinbar schnell herum in der vernetzten Gemeinschaft der rund 10.000 Exil-Amerikaner in Berlin. Einer Dame ist er besonders sauer aufgestoßen. Völlig außer sich meldet sie sich später telefonisch, weil sie gehört habe, dass die Presse darüber berichten wolle. Sie fragt mit eindringlicher Stimme, ob „denn auch wirklich neutral“ berichtet werde. Sie will unbedingt anonym bleiben. Sie habe alles gesehen. Sie kreischt: „Das ist Einschüchterung pur! Illegal ist das! Die sind genauso schlimm wie die Republikaner!“
„Wir sind im Krieg“
Das sei „kein idealer Zustand“, gibt Pam Selwyn von AVA zu. „Aber ich meine, wir sind hier im Krieg“, sagt sie entschuldigend. Wir? Ein Handzettel ihrer Organisation appelliert an die Verantwortung der Deutschen: „Wollen Sie einen neuen US-Präsidenten? Sie können dazu beitragen! Tell an American to vote!“ Pam Selwyn kommentiert das so: „Das war als Gag gedacht, um Deutsche anzulocken, die Amerikaner kennen.“ Ihre Organisation sei zwar gegen Bush, aber nicht für die Demokraten, betont sie. Ist das bei dieser Wahl denn nicht das Gleiche?
„Alles ist besser als Bush“, meint auch Andrew Horn. „Manchmal denke ich, dass ich ausflippe“, sagt er. Er müsse gegen die „geistige Destabilisierung“ seines Landes kämpfen. Es befinde sich am Rande des Faschismus. Er fühle sich „gedemütigt“. Sein Sohn ist 16 und lebt in New York. „Der fühlt sich völlig ausgeschlossen, in politischer Hinsicht stimmlos. Das war damals anders.“ Mit damals meint er seine Studentenzeit. Er meint sich und viele andere tausende, die gegen Rassismus, Vietnam, gegen soziale Ungerechtigkeiten und gegen wirtschaftliche und politische Restriktionen, strenge und elitäre Universitäten protestierten. Amerikanisch zu sein bedeutete für sie nicht etwa, einem militanten Patriotismus anzuhängen, sondern Werte wie Freiheit und Gleichheit zu verteidigen. Horn spricht über den charismatischen Rebellen Abby Hoffman von den „Chicago Seven“, einer Gruppe von Aktivisten aus ebenjener geliebten, verblühten Zeit. „Traue niemandem über 30!“, hieß es damals. Jetzt ist er selbst älter geworden und erzählt, wie er kürzlich in Berlin ganz gerührt und staunend stehen geblieben sei, als eine spontane Schülerdemo gegen den Irakkrieg an ihm vorbeizog.
Die heiße politische Phase, auch für die Fotografin Constance Hanna, seit fünfzehn Jahren in Berlin, ist vorbei. Sie hat jetzt ein Kind zu versorgen. Früher hat sie den Wahlkampf des schwarzen Demokraten Jesse Jackson unterstützt, sie hat sich für Frauen engagiert, sie war politisch aktiv. Dann dachte sie: Das bringt doch alles nichts! Aus Berlin wählte sie bisher nicht. Sie wollte sich nicht bei der Botschaft melden. „Ich dachte, die verfolgen mich“, sagt sie.
Jetzt habe sie „wahnsinnige Schuldgefühle“, dass sie vor vier Jahren nicht für Al Gore gestimmt hat. Sie sei sich so sicher gewesen, dass Gore gewinnen würde. Sie fasst sich an den Kopf und sagt: „Die Leute denken, dass die Republikaner die Wirtschaft besser regeln! Unglaublich!“ Für sie sei hier, auf der anderen Seite des Ozeans, vieles transparenter geworden. Doch die Leute, die Bush gewählt haben, sagt sie, „die haben echt keine Alternative vor Augen“. Es wirkt, als müsse sie sich dazu zwingen, wenigstens zu versuchen, die Bush-Wähler zu verstehen. Wie so viele Deutsche eben auch.
Innere Verpflichtung
Auch Andrew Horn fühlt sich manchmal schuldig. „Ein Teil von mir fühlt sich als Verräter, weil ich hier bin und nicht da“, sagt Horn. Beide sagen, sie fühlen sich der Welt gegenüber verantwortlich, diesen Präsidenten abzuwählen. „Auch wenn ich das Gefühl habe, Kerry bekommt nichts auf die Reihe: Es reicht“, sagt Hanna. „Ich fühle eine innere Verpflichtung.“ Vielleicht ist die Verzweiflung durch die Entfernung größer geworden. Dennoch wollen sie bleiben. Wer hier als Amerikaner gegen Bush ist, hat wenig Grund, sich allein zu fühlen.
„Hier kann ich meine Ideen und Haltungen ausleben“, sagt er. Er fühle sich „befreit von der großen Malaise“. Auch Constance Hanna fühlt sich in Berlin freier. „Als Linke bekommst du in den USA gleich einen Stempel. Du bist immer in der Minderheit. Vielen macht das nichts aus. Aber ich fand es echt anstrengend.“ Hier in Berlin-Kreuzberg, wo sie wohnt, würden die meisten Leute ähnlich denken wie sie.
Den politischen Gegner im direkten Umfeld zu ertragen ist auch bei den Republikanern im „Kanzlereck“ nicht besonders populär. Als FDP-Mann Burdinski vorschlägt, ein grünes Regierungsmitglied zur nächsten Runde einzuladen („Wär das nicht eine interessante Herausforderung?“), erhält er prompt eine Absage: „Ich komme extra her, um frische Luft zu atmen“, sagt Christopher White, ein breitschultriger Automechaniker, der für seine deutsche Frau vor fünf Jahren nach Berlin zog. Frische Luft? „Sie können sich nicht vorstellen, was ich hier in Deutschland erlebe. Wenn ich versuche, mit Leuten über die Bush-Politik zu sprechen, dann kommt immer dasselbe: ‚Ihr Amis könnt doch eh nur bomben!‘ Die Leute machen zu. Sie hören gar nicht mehr hin!“, klagt er. Dabei hätten die Deutschen doch auch ihre Geschichte …
Deutsche machen dicht
Parteikollege Henry Nickel hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Seine Strategie: „Ich sage jetzt nicht mehr am Anfang einer Unterhaltung, dass ich Republikaner bin.“ Was sie an der Gesprächsbereitschaft der Deutschen beklagen, erinnert an die „Igitt“-Haltung der öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalisten, die nach der Wahl dem sächsischen NPD-Landeschef Holger Apfel rigoros das Wort abgeschnitten hatten. Dem „bad guy“ gegenüberstehen – das ist keine leichte Übung. Ob im Weißen Haus demnächst wieder ein „good guy“ sitzen wird? „Es wird Sie wahrscheinlich enttäuschen“, sagt Nickel, „aber wenn ich ehrlich bin, ist Kerry Bush sogar ziemlich ähnlich.“