: So viel Glück
Gar nicht schüchtern haben wir um Glückwünsche gebeten und gar nicht abergläubisch präsentieren wir hier vorzeitige Grüße und Flüche zum taz-Geburtstag
Stell dir vor, die taz wird 30 und keiner gratuliert: ein Albtraum für das Kongress-Team, schließlich sollen beim Geburtstagskongress nicht nur stolze tazzen zu Wort kommen, sondern auch Freund, Feind und Verbundene. Mit Anekdoten, kleinen und großen Seitenhieben und überschwänglichen Glückwünschen. Dabei kam schon im Dezember der erste Geburtstagsgruß, ein kruder Dreizeiler, vor allem die Phrasen „total wurst“ und „verwechseln mit der FAZ“ blieben hängen.
Die aufflammende Panik wurde im Keim erstickt – zum Beispiel von Harry Rowohlt, der einen schreibmaschinengetippten Brief voller Erinnerungen geschickt hat, oder Dr. Seltsam, der über seine Zeit bei der taz fundiert vom Leder zieht. Ganz abgesehen von den GenossInnen und LeserInnen, die sich mit uns freuen. Und all den Politikern, Schauspielern, Musikern und Medienschaffenden.
Wir sagen „Danke!“ für viel tolle Post, auch und besonders für Denkanstöße und Kritik. Was wir uns für den nächsten Geburtstag wünschen? Eine doppelt so dicke taz, mindestens, denn aus den vielen Grüßen wenige auszuwählen war wirklich ein Albtraum:
Isabelle Wenge, Genossin: „Traue keinem über 30 … nur der taz!“
Kai Diekmann, Chefredakteur Bild: „Liebe taz, ‚trau keinem über 30‘ – was ist bloß daraus geworden? Erst überschreiten die Alt(!)-68er das Renteneintrittsalter. Nun marschiert sogar die „tageszeitung“ rapide dem Ende der Pubertät entgegen … Trost kann nur der Bundeskanzler spenden, der der „taz“ im Jahr 2004 ihren Allzeit-Auflagenrekord bescherte. Er wusste: Alter ist ein großer Wert. Dennoch wünscht sich die größte Boulevardzeitung Deutschlands, dass die kleinste Boulevardzeitung Deutschlands niemals so ganz erwachsen wird.“
Wir sind Helden: „Liebe taz, Wir sind Helden wünschen weiterhin scharfe Krallen! Und: allet Jute für die Zukunft. Und Geld. Und alle Leser der Bild-Zeitung. In dem Sinne: Prost! Pola, Judith, Mark und Jean.“
Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen: „Herzlichen Glückwunsch zu 30 Jahre kritischem Journalismus, der erzählt, was sonst unerzählt bliebe, zu Kritik, die häufig ins Grüne trifft, und zu Titelseiten, die Geschichte schreiben! taz muss sein! Auch wenn mancher Schuss danebengeht.“
Dominique Vidal, Le Monde Diplomatique: „So jung und so schön!“
Marek Dutschke: „Als ich jünger war, in den achtziger Jahren, wusste ich nicht, was eigentlich ein „Mythos“ ist. Mit 15 Jahren, damals lebte ich mit meiner Mutter in den USA, wurde es mir klar: Die taz ist ein Mythos. Gesprächsweise trauten die Erwachsenen der taz alles Mögliche zu, vor allem Einfluss, Experimentierfreude, Nonkonformismus und finanzielle Risiken ohne Ende. Deshalb war ich ordentlich froh, als ich im Jahr 2000 nach Berlin zog und herausfand, dass der Mythos taz schon meinen Vater Rudi Dutschke bewegt hatte. Er hatte, so berichteten einige seiner Freunde, im Herbst 1979 (kurz vor seinem Tod) die späteren Vormittage gerne bei der gerade gegründeten taz verbracht. So wurde auch mir die taz zu einem treuen Begleiter und ich habe mich immer mächtig gefreut, wenn ich etwas für diesen Mythos schreiben und sagen durfte. Ein Mythos soll es bleiben. Ein Mythos wird es bleiben.“
Bernd Neumann, Kulturstaatsminister: „Nach dreißig wilden Jahren ist auch die taz ins seriöse Alter gekommen. Auch wenn ich die Position der taz häufig nicht teile, lese ich sie gerade deshalb regelmäßig, weil man sich immer mit anderen Meinungen auseinandersetzen muss. Außerdem recherchiert die taz so gut, dass man manchmal selbst über die eigenen Freunde Neues erfährt. Die Lektüre der taz kann man sich also nicht ersparen – heute nicht und wohl auch in der Zukunft nicht. Alles Gute für die besten Jahre.“
Sibylle Berg, Autorin: „liebe kleine taz, in zehn jahren werde ich auch dreissig, das muss hart sein, in einer welt, in der endzwanzigjährige das erste mal in die midlife krise kommen. ich hoffe, du kommst noch lange ohne leserreporter aus, und machst viel geld, kaufst dir hübsche autos und häuser, und gibst mir dann eines ab.“
Barbara Lochbihler, Generalsekretärin Amnesty International: „Herzlichen Glückwunsch zu 30 Jahre Kritik, Satire, Internationalismus, Empörung, Widerstand, linkem Journalismus, Feminismus, Abowerbung, Stichelei, Protest, Spott, Ironie, Information, Kommentar, Aufklärung, Wut und nicht zuletzt immer wieder Einsatz für die Menschenrechte. Weiter so, taz!“
Uwe Vorkötter, Chefredakteur Frankfurter Rundschau: „Ich weiß nicht, wie viele Abonnenten die taz in Erwitte/Ostwestfalen hat. Ich kenne aber einen davon, er heißt Ulrich Gorny. Ulrich ist mein ältester Kumpel und bester Freund. Er interessiert sich für meine Arbeit und die Zeitungen, für die ich arbeite. Abonniert hat er nie eine davon. Wieso auch, sagt er, er hat doch die taz abonniert. An machen Tagen komme ich abends nach Hause und denke: Eigentlich eine gute Zeitung gemacht heute. Kritischer Leitartikel, spannende Reportage, überraschender Essay im Feuilleton. Dann ruft Ulrich an und berichtet von seiner Zeitungslektüre: Hast du heute die taz gelesen? Dieser Leitartikel über die Merkel, die gehen wenigstens noch kritisch ran. Und die Reportage auf der dritten Seite, der Autor kann wirklich spannend schreiben. Und im Feuilleton dieser Text, so originell und überraschend … Ich habe den Versuch, Ulrich zu meinem eigenen Abonnenten zu machen, längst aufgegeben. Da helfen keine warmen Worte und keine Werbegeschenke. Er liest ja die taz. Ich wünsche der taz viele Ulrichs. In Erwitte und anderswo.“
Schorsch Kamerun, Musiker: „Der Jubilarin zum Dreißigsten! Die taz gehört zu den Dingen, welche meinen Vater konstant richtig ärgern. Atomkraftwerke empfindet er ebenfalls als überflüssig (bei ihm käme der Strom immer noch aus der Steckdose …). Herzlichen Glückwunsch zu dieser Leistung mit der Bitte, weiterhin bestimmte Leute gehörig zu nerven. Habe die Ehre, Schorsch Kamerun“
Marlies Brouwers, Vorsitzende Deutscher Frauenrat: „Als bekennende Nicht-Leserin Ihres Blattes – es ist mir einfach zu links – schätze ich dennoch die informierte Beharrlichkeit und das Niveau Ihrer Berichterstattung in Sachen Frauen- und Geschlechterpolitik. Auch wenn es manchmal weh tut. Der Deutsche Frauenrat braucht Ihre Stimme(n). Vielen Dank! Auf die nächsten 30 Jahre!“
Johannes Maier, Abonnent: „Liebe tazzler, es ist ungewöhnlich, dass mir nach so vielen Jahren taz-Abo so wenig an Kritik einfällt. Ein paarmal, erinnere ich mich, war es wegen einer bestimmten Werbung, die mir nicht gepasst hat; ab und zu ist es ein Meinungsartikel, den ich abwegig fand; die Änderung des Layouts war auch gewöhnungsbedürftig und es fehlt mir, seit vielen Jahren schon, die Lyrik-Seite, die es mal gab; als Münchner fehlt mir auch das Lokale, das ist halt so. Ich behelfe mich da ein bisschen mit der Online-SZ. Aber sonst …? Also daher herzliche Glückwünsche und Danke, dass es Euch gibt.“
Sergej Lochthofen, Chefredakteur Thüringer Allgemeine: „Die taz wird 30? Neid. Neid. Neid. Neid, weil sie jeden Tag so schön Zeitung spielen dürfen. Neid, weil sie die Ausgabe mit den Beatles-Titeln als Schlagzeilen herausbrachten. Und Neid, weil sie schon da waren, als wir uns vor knapp 20 Jahren als erste Zeitung im Osten auf den Weg in die Freiheit machten, sonst hießen wir heute taz.“
JANA VOLKMANN