: Das Licht an einem Wintertag
Die Liebe zur Genauigkeit: Lotte Laserstein, eine wiederentdeckte Malerin der Neuen Sachlichkeit, im Ephraim-Palais
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Das muss auch die Geschichte einer Liebe sein. Das ist der erste Gedanke vor den Aktbildern von Lotte Laserstein. Hat sie nicht an diesen Hüftknochen geknabbert, bevor sich die Freundin, ihr Modell Traute Rose, auf dem Bett vor dem Fenster schlafen legte, im hellen Licht des Wintertages draußen? Hat sie nicht mit ihrem Kopf auf diesem flachen Bauch geschlafen? Das bleibt das Geheimnis der Bilder, denn aus dem Leben der beiden befreundeten Frauen, aus ihre Briefen und Zeugnissen ist nichts davon bekannt. Da erfährt man bloß, wie anstrengend die Arbeit im Atelier war.
Aktmalerei ist Arbeit. Eine Frage von Genauigkeit und Geduld. Von der Suche nach der richtigen Haltung, entspannt, wie zufällig und voll Vertrauen. Von dem Warten auf das richtige Licht, um die Haut weich und doch mit vielen Nuancen, die das Fleisch und die Knochen darunter ahnen lassen, zu modellieren. Vom Nachdenken über eine Komposition, die viel von dem anders erzählt, als es den Konventionen des Sujets Maler und Modell über Jahrhunderte entspricht.
Lotte Laserstein war eine der ersten Kunststudentinnen nach der Zulassung von Frauen an der Berliner Kunstakademie. Wenige Monate nach Beendigung ihres Meisterschülers 1927 begann sie das Bild „In meinem Atelier“: eine selbstsichere Geste der künstlerischen Positionierung, die ihr zwei Jahre später bei einer Ausstellung in der Akademie der Künste Anerkennung brachte. Selbstverständlich geht es in diesem und den folgenden Selbstbildnissen mit Aktmodell auch um Erotik: Aber sie ist so sehr ins Gewand einer disziplinierten Arbeit gekleidet, dass sie sich darin aufzulösen beginnt. Das Modell liegt voll im Licht, ausgebreitet für die Blicke des Betrachters, während die Künstlerin hinter ihr an einer Staffelei sitzt, als könnte sie ebenso gut die Dächer vor ihrem Fenster malen.
Die Malerin als Frau stellt damit vor allem ihre Professionalität zur Schau. Weiblichkeit ist ihr Gegenstand, aber so pur und befreit aus vielen Perspektiven der Vereinnahmung, als hätte es den männlichen Blick nie gegeben. Das bleibt bis heute das Stupende an Lasersteins Akten. Ihre Akte sind ebenso frei von Exzentrik, Frivolität und Pikanterie wie von jeder symbolischen Überhöhung des Eros.
Die junge Malerin hatte trotz eines zurückgezogenen Lebens Erfolg. Am Ende der Weimarer Republik passte ihr Stil zum Lebensgefühl der Sachlichkeit. Der Klang ihrer Bilder war großstädtisch, selbstbewusst, modern. Die jungen Frauen, die sie malte, auf der Couch, als Tennisspielerin oder mit Freunden auf einer Dachterrassen, wirken emanzipiert ohne besondere Anstrengung. Was ihre Darstellungsweise von der vieler männlicher Kollegen unterscheidet, ist die größere Selbstverständlichkeit von Frauen im öffentlichen Leben.
Vergessen wurde sie trotzdem. Die Retrospektive im Ephraim-Palais ist ein Projekt des Vereins Verborgenes Museum, der seit den Achtzigerjahren immer wieder Malerinnen, Architektinnen und vor allem Fotografinnen der Zwanziger- und Dreißigerjahre wiedergefunden hat und so allmählich immer mehr von einem Kunstbetrieb freilegt, an dem voller Hoffnung erstmals sehr viele Frauen beteiligt waren. Fast alle ihre Karrieren aber brachen mit dem Nationalsozialismus ab.
Auch Lotte Laserstein half ihre Anerkennung als „leuchtendes Talent“ nicht, als sie zur Dreivierteljüdin erklärt wurde und ihr damit der Zugang zum Kunstbetrieb oder auch nur der Erwerb von Leinwand verwehrt wurde. Die jüdische Identität, bis dahin kaum ihr Thema, wird zum Gegenstand in dem Doppelporträt „Zwei jüdische Mädchen“. Traurig und isoliert wirken die beiden, bedrückt die Köpfe zusammensteckend. Weiter allerdings ging die Malerin nicht in einer Stellung- oder auch bloß Bestandsaufnahme des unterdrückten Lebens.
Sie konnte 1937 nach Schweden emigrieren und dort von Aufträgen als Porträtistin leben. Diese Bilder, von denen nur wenige im Ephraim Palais gezeigt werden, erreichten jedoch nur noch selten die Qualität ihrer Zeit in Berlin.
Zur Ausstellung ist ein Katalog von Anna-Carola Krausse erschienen, die erste umfangreiche Monografie zu Lotte Laserstein. Man wünscht ihr den Weg in viele Bibliotheken, die, als das Verborgene Museum seine Arbeit begann, zu Künstlerinnen vor 1940 oft nur wenige Bände besaßen. Das hat sich seitdem so gründlich geändert, dass die Sensation, wieder ein Künstlerinnenleben mehr beweisen zu können, kaum noch zählt. Die Werke aber lohnen die Betrachtung allemal.
Museum Ephraim-Palais, Poststr. 16, 1078 Berlin, täglich außer Montag, 10 bis 18 Uhr, bis 1. Februar 2004. Katalog kostet dort 29 Euro