: Mit Sushi kann man doch nicht spielen!
Die Welt ist eine Kugel (7): Über die Mary-Jane-Bar- Depression und über die bösen Tischkickerspieler
Die Mary Jane Bar in der Kastanienallee 24 war eine der geilsten Lokalitäten, um in Mitte flippern zu gehen – ja, vielleicht war sie sogar der coolste Flipperstandort Berlins. In der Luft prallten Cannabisschwaden auf lässige Elektrobeats vom hauseigenen DJ, du standest mit dem Rücken zur Theke, und ein Blick über die Schulter genügte, schon bekamst du ein neues Pils serviert. Doch du konntest die Augen kaum abwenden, wolltest nicht trinken … denn vor dir stand „Monster Bash“ von Williams, der völlig ohne Zweifel abgefahrenste und aufregendste Flipper aller Zeiten.
Mögen die anderen noch so viel erzählen und blöd herumlamentieren, das ist eine Tatsache. It’s alive, the Monsters of Rock! Can you hit this bat with that ball? Drac-Attack! Yeah baby, I’m cool … and you’re not. Um mitzuspielen, boten dir Wildfremde ihre Sexualpartner an. Was solltest du damit? Ein Dinosaurier von einem Hippie zückte sogar seine Revolverpfeife: eine Falcon mit einem drehbaren Trommelmagazin und sechs bis obenhin gefüllten Haschischpfeifenköpfen – allesamt für dich! Doch das hätte bloß deine Konzentration gestört. Du hast dankend abgewinkt und weiter Instrumente für deine Band gesammelt. Das Schlagzeug für den Wolfsmenschen, den Bass für die Mumie, die E-Gitarre für Dracula, das Saxophon für die Kreatur aus der schwarzen Lagune, das Keyboard für Frankenstein und das Gesangsmikro für seine Braut … let’s rock!
Doch aus, vorbei! Zunächst wurde das Flippergerät in der Mary Jane Bar ausgetauscht, dann ein paar Monate später der Laden gleich ganz geschlossen. Nebenan im Café Egal erzählt man sich, dass dort jetzt ein weiteres Sushi-Restauraunt reinkommen soll. Hör, Gemeinde, auf meine Worte: Erst wenn der letzte Flipper zerstört, das letzte Gerät entfernt und die letzte Apparatur verschwunden ist, werdet ihr allesamt merken, dass man mit Essen einfach nicht spielen kann!
Heute musst du schon weite Wege gehen, um in Mitte oder Prenzlauer Berg einen leibhaftigen Flipper zu finden – einer der letzten führt ins Simson, zurück in deine Schulzeit. Sobald du „Gottes eigene Bar“ in der Oderberger Straße betrittst, spürst du, dass du morgen die ersten beiden Unterrichtsstunden (Mathe und Reli, was sonst?) ausfallen lassen wirst.
Das Simson ist ein düsteres, unübersichtliches, plüschig verkommenes Lokal, ein Sammelpunkt für in die Jahre gekommene Schulschwänzer und Sitzenbleiber. Da wird geknutscht, dort gekifft und in dieser Ecke an einer neuen Verschwörungstheorie gebastelt. Viele deiner Klassenkameraden würden hier noch nicht einmal Zigaretten am Automaten ziehen. Dir ist es gleich, du versuchst, dich mit dem „Scared Stiff“-Flipper im hintersten Raum zu amüsieren – von den Vorzügen dieser wunderbaren Apparatur wurde an dieser Stelle schon einmal berichtet.
Ach, alles könnte perfekt sein, wenn du diesen Ort nicht mit diesen lauten, übergeschnappten Leuten teilen müsstest, den natürlichen Feinden des Flipperspielers: den Tischkickerspielern! Dartpfeilwerfer sind gefährlich und Billardstoßer lästig wie Scheißhausfliegen, wenn sie dir wieder versehentlich ihren Queue in den Rücken rammen – aber im Vergleich mit den Kickerspielern, vor allen Dingen den weiblichen, sind beide eine absolute Wohltat. Kickerspieler schreien, kreischen und trampeln, sie sind grob, geschwätzig wie Waschweiber und immer in der Überzahl.
Du versuchst dich auf dein Spiel zu konzentrieren, die rechte Rampe zu treffen – in diesem Moment fällt ein Tor, das Quartett brüllt vor Freude und Schmerz! Verflucht! Du verlierst deine Kugel, das Spiel ist aus, du könntest sie alle … doch gehst nach Haus. MARC DEGENS
Flipper: „Scared Stiff“ von Bally; Ort: Simson, Oderberger Straße 43, Prenzlauer Berg