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Archiv-Artikel

Europa schickt Barroso zurück auf Los

Um eine Niederlage im Europaparlament zu vermeiden, zieht der zukünftige EU-Kommissionspräsident seinen Vorschlag für die Besetzung des neuen Kollegiums zurück. EU-Parlamentarier begrüßen Entscheidung. Alte Kommission bleibt vorerst im Amt

STRASSBURG/BERLIN dpa/ap/afp ■ Mit einer beispiellosen Machtdemonstration hat das Europäische Parlament erstmals die Personalpläne der EU-Staaten für eine neue Kommission zum Scheitern gebracht. Der designierte portugiesische Kommissionspräsident José Manuel Barroso musste gestern den Vorschlag für sein Team angesichts einer drohenden Niederlage bei der Vertrauensabstimmung zurückziehen. Er muss nun mit den EU-Staats- und Regierungschefs, die sich heute in Rom treffen, Auswege suchen. Die Kommission von Präsident Romano Prodi, die am 31. Oktober aus dem Amt scheiden sollte, führt vorerst die Geschäfte weiter.

Nach dramatischen Verhandlungen in der Nacht zwischen Barroso und den Fraktionsspitzen würdigten nahezu alle Parteien seine Entscheidung als richtig und als Triumph für die Demokratie in der Europäischen Union. Lauter Beifall begleitete Barrosos Rede, als er sagte: „Ich brauche mehr Zeit.“ Die Sozialisten, Liberalen und Grünen hatten sich vor allem gegen den für das Justizressort vorgesehenen Italiener Rocco Buttiglione gewehrt, der Homosexualität eine Sünde genannt hatte. Für die Barroso nahe stehenden Konservativen war dessen Schritt ein Zeichen der Führungsstärke.

Ohne einen Zeitplan zu nennen, sicherte Barroso seine Kooperation zu: „Meine Absicht ist, das Nötige zu ändern, aber nichts darüber hinaus.“ Zu Namen und Geschäftsbereichen wollte er nichts sagen. Die nach dem Rückzug Barrosos entstandene Situation stellt die EU vor ein Problem, das in den Verträgen nicht geregelt ist. Unklar war zunächst, ob Barroso nur die Geschäftsbereiche austauschen oder die EU-Staaten um neue Personalvorschläge bitten wird.

Rom will nach den Worten von Außenminister Franco Frattini an Buttiglione festhalten. Auch die Niederlande und Lettland bleiben bei ihren umstrittenen Kandidatinnen. „Wir haben unsere Meinung nicht geändert“, sagte der niederländische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Atzo Nicolai. Der lettische Außenminister Indulis Emsis sagte, sein Land habe „eine gute Kandidatin gefunden, die zudem noch eine Frau“ sei. Bei den Anhörungen im Parlament hatte es auch scharfe Kritik an dem Ungarn László Kovács (Energie), der Dänin Mariann Fischer Boel (Agrar) und dem Griechen Stavros Dimas (Umwelt) gegeben.

Die Bundesregierung hat eine schnelle Lösung im Ringen um die neue EU-Kommission angemahnt. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer warnten vor einem Institutionenkonflikt. Schröder sagte: „Wir brauchen eine starke, handlungsfähige Kommission.“ FDP und Grüne begrüßten die Entscheidung Barrosos.

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