: James Bond jagt Goya-Diebe
Filmreife Verbrechen: Das Buch „Aktenzeichen Kunst“ von Nora und Stefan Koldehoff erzählt 15 reale Kunstkrimis vom „Art Napping“ bis zum Osloer Munch-Diebstahl
So locker klärt man Kunstdiebstähle auf: Als James Bond 1962 seinem Widersacher „Dr. No“ das Handwerk legte, stieß er in dessen Kommandozentrale zufällig auf ein Bild von Francisco de Goya, das Diebe tatsächlich ein Jahr zuvor aus der National Gallery in London entwendet hatten. Leider war das sichergestellte Gemälde – ein Porträt des Herzogs von Wellington – lediglich eine Kopie, die man als Gag in den Film eingebaut hatte.
Die Geschichte des Originals kann man jetzt in „Aktenzeichen Kunst“ nachlesen, einem spannenden und informativen Buch, das – so auch der Untertitel – „die spektakulärsten Kunstdiebstähle der Welt“ dokumentiert. Das Autorenduo Nora und Stefan Koldehoff hat sich in der Welt des „grauen Kunsthandels“ umgesehen und Fakten aus Prozessakten, Archiven und Expertengesprächen gesammelt. Mehrere hundert Fälle werden aufgelistet, 15 unglaubliche Geschichten werden ausführlich erzählt. Je nach Situationslage lesen sich die einzelnen Kapitel als Thriller oder als Realsatire.
So hieß das Pendant von „Dr. No“ im wirklichen Leben Kempton Bunton. Der arbeitslose Lkw-Fahrer stieg am 21. August 1961 durch ein offenes Toilettenfenster in die National Gallery ein, raubte den „Herzog“ und verbarg ihn jahrelang in seiner Wohnung in Newcastle. Er gab ihn schließlich unversehrt zurück, weil niemand seiner Forderung nach Lösegeld nachkam. Bunton wollte mit dem erpressten Geld einen gemeinnützigen Fonds einrichten, der armen Menschen die Fernsehgebühren bezahlt.
Was sich im Falle Buntons noch auf die spleenige Idee eines Exzentrikers zurückführen lässt, ist mittlerweile, so Nora und Stefan Koldehoff, zur traurigen Methode geworden: Kunst wird nicht mehr um ihrer selbst willen gestohlen, sie wird zur Geisel in größeren kriminalistischen Strukturen. Experten sprechen von „Art Napping“.
Der kunstbegeisterte Milliardär, der gezielt Diebstähle in Auftrag gibt, ist ein Mythos – das ist das Fazit der Geschichten aus „Aktenzeichen Kunst“. Ebenso stellen nach Ansicht der Koldehoffs freakige Kunstliebhaber wie der Kellner Stéphane Breitwieser, der über 200 Exponate in seiner Wohnung hortete, die Ausnahme dar. Typischer ist eine Geschichte aus Irland: Die Kunstsammlung im Russborough House bei Dublin wurde in den letzten 30 Jahren viermal zum Ziel von Raubüberfällen, dabei brachen die Diebe einmal mit einem Geländewagen durchs Eingangsportal. Die entwendeten Bilder wurden im Austausch gegen Lösegeld oder Strafmilderung für lokale Drogenbarone wieder zurückgegeben.
Wie „Aktenzeichen Kunst“ zeigt, funktionieren solche Deals, weil alle Beteiligten mitspielen. Vor allem Versicherungen zahlen schon mal eine stattliche „Belohnung für Informationen“, um das Diebesgut zurückzubekommen. Der Kreislauf von Diebstahl und Wiederbeschaffung klappt jedoch nur, wenn sich Kunstbesitzer die hohen Versicherungskosten leisten können. Gerade bei vielen öffentlichen Museen mit sehr teuren Kunstwerken ist das Gegenteil die Regel.
So auch im Fall des jüngsten spektakulären Kunstraubs: Am 22. August diesen Jahres erbeuteten zwei Männer mit Waffengewalt eine Version von Edvard Munchs „Schrei“ aus der norwegischen Nationalgalerie in Oslo. Da eine Versicherungserpressung wegfällt und sich das Gemälde wohl kaum verkaufen lässt, kann man eigentlich nur hoffen, dass sich norwegische Drogenbarone ein paar Verhandlungsargumente beschaffen wollen. Sonst wird man den „Schrei“ wohl nicht so bald wiedersehen.
TIM ACKERMANN
Nora und Stefan Koldehoff: „Aktenzeichen Kunst“. DuMont Verlag, Köln 2004. 264 S., 29,90 €