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Archiv-Artikel

„… dann bedauere ich das sehr“

CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe die Terroranschläge in Istanbul parteipolitisch missbraucht. An seiner Kritik an einem raschen EU-Beitritt der Türkei hält er aber fest

taz: Herr Bosbach, wie fühlt man sich, wenn man vom Bundeskanzler als „charakterlos“ bezeichnet wird?

Wolfgang Bosbach: Bewusst missverstanden. Der Kanzler ist wieder einmal in seiner Spezialdisziplin aufgetreten, nämlich den politischen Gegner unter Verzicht auf Sachargumente persönlich zu beleidigen.

Auch Ihr Parteifreund Christian Wulff nannte es einen „großen Fehler“, eine Verbindung zwischen den Terroranschlägen in Istanbul und dem EU-Beitritt der Türkei zu ziehen.

Damit hätte er Recht, wenn ich eine solche Verbindung hergestellt hätte. Leider hat sich außer dem Kollegen Friedbert Pflüger niemand bei mir erkundigt, wie die Zitate entstanden. Ich wurde gefragt, ob sich durch die Anschläge etwas an unserer Haltung zum EU-Beitritt der Türkei verändert habe und ob ein rascher EU-Beitritt die Sicherheitslage entschärfen könnte. Diese Fragen habe ich verneint.

Moment, Herr Bosbach, Sie haben gesagt, „die Ereignisse der vergangenen Tage sprechen eher gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU als dafür“. Mit Verlaub, das kann man nur als Gefühllosigkeit verstehen.

Weil dieser Satz, der in den Agenturmeldungen zitiert wurde, aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Er war meine Antwort auf die Frage, ob man einen EU-Beitritt der Türkei jetzt beschleunigen sollte, wie es einige fordern. Dieser Meinung bin ich in der Tat nicht. Aus unserer Sicht sprechen nach wie vor ganz andere Gründe gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU, die mit dem Terror überhaupt nichts zu tun haben – etwa die großen kulturellen Unterschiede, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und die schwierige ökonomische Lage in der Türkei. Wenn durch meine Äußerung der Eindruck entstanden ist, ich wollte die fürchterlichen Anschläge als Argument gegen einen EU-Beitritt der Türkei verwenden, bedauere ich das sehr.

Sie haben aber auch gesagt, das Terrorproblem würde durch eine Aufnahme der Türkei „in die Gemeinschaft importiert“. Damit unterstellen Sie der Türkei indirekt eine Mitschuld an den Anschlägen.

Genau das habe ich nicht getan. Aber ich kann nicht erkennen, dass die Spannungen in der Türkei, die Auseinandersetzungen zwischen denen, die pro-westlich orientiert sind, und den anderen, die islamistisch-fundamentalistische Ziele verfolgen, dadurch erfolgreich abgebaut werden können, indem die Türkei schnell EU-Mitglied wird. Ich befürchte dann in der Tat eine Ausdehnung der Spannungen in die EU hinein.

Wie meinen Sie das?

Wenn es stimmt, dass sich islamistische Terroristen dadurch herausgefordert fühlen, dass sich die Türkei immer mehr in Richtung Westen orientiert, bezweifle ich, ob man den Terrorismus erfolgreicher bekämpfen kann, indem man diese Anstrengungen weiter erhöht.

Sollen die Liberalen in der Türkei dem Terror nachgeben?

Nein, natürlich nicht. Aber der Wandel muss sich sehr vorsichtig vollziehen. Wenn er zu schnell geht, provoziert er ganz offensichtlich Gegenreaktionen, die niemand kontrollieren kann. Ein EU-Beitritt in absehbarer Zeit würde deshalb sowohl die Türkei als auch die EU überfordern.

Also lieber Schotten dicht?

Davon kann doch keine Rede sein. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, die Reformkräfte in der Türkei zu unterstützen, und werden dies auch weiter tun. Es muss aber auch erlaubt sein, auch unsere eigenen Interessen im Blick zu haben. Ich glaube jedenfalls nicht, dass sich die Sicherheitslage der EU und der Bundesrepublik Deutschland dadurch erhöht, wenn die EU künftig Außengrenzen zu Syrien und dem Irak hat.

Wollen Sie damit auch Wahlkampf machen?

Natürlich wird im Europawahlkampf auch thematisiert werden, welches Selbstverständnis die EU haben soll und ob eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht ihre Integrationskraft überdehnt. Davon lassen wir uns nicht abbringen, schon gar nicht durch persönliche Angriffe.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF