: Blinder Passagier
Ein kleiner gelber Käfer breitet sich in Europa aus. Landwirte müssen um ihre Maisernte fürchten
Erst wurde der Mais verpflanzt – vom Süden des großen amerikanischen Kontinents in seinen Norden. Dann folgten ihm die Schädlinge. Weil aber der Mais im Norden in riesigen Feldern bis zum Horizont angebaut wurde, vermehrten sie sich dort zu einer Landplage. Im Jahre 1992 entflatterte dann ein halbzentimeter langes, gelbes Käferchen mit schwarzem Kopf und drei dunklen Längsstreifen einem Flugzeug in Belgrad. Somit war der Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgifera) in Europa gelandet. Weiter breitete er sich nach Südoststeuropa aus. In Italien wurden erste Tiere in der Nähe von Flughäfen gesichtet. In diesem Jahr erreichte er das Elsass. Für Deutschland steht er ante Portas und könnte längerfristig Schäden bis zu 25 Millionen Euro jährlich verursachen.
Dieses Insekt ist der Champion unter den Maisschädlingen. In den USA beziffert man die Schäden durch ihn auf eine Milliarde Dollar pro Jahr. Bekämpft wird er dort durch das Versprühen von Insektiziden. Der erwachsene Käfer frisst Maisblüten und -blätter. Aber das eigentliche Problem ist sein Nachwuchs. Das Weibchen legt im August bis zu 500 Eier in den Boden. Im folgenden Frühsommer schlüpfen aus ihnen Larven. Die fressen sich bis ins Maiswurzelmark. Die Pflanzen trocknen danach aus, weil sie nicht mehr mit Säften beliefert werden. Die Ernteausfälle können dabei bis zu 90 Prozent betragen.
Im vergangenen Jahr avancierte der hübsche Käfer zum Politikum. Der Exdirektor des jugoslawischen Pflanzeninspektionsdienstes behauptete in einem Artikel mit dem Titel „the western corn rootworm as an agro bomb“, die US-Regierung habe seine heimatlichen Felder absichtlich mit dem Schädling verseucht (Slavoljub Markovic in: Javnosti, Nov. 2002).
In der internationalen Wissenschaft steht Marcovic mit seiner Theorie allerdings allein da. Denn erwachsene Maiswurzelbohrer erbringen selbst die erkleckliche Flugleistung von 50 bis 80 Kilometer pro Sommer, bedienen sich aber auch moderner Verkehrsmittel.
Weltweit sucht die Forschung fieberhaft nach Alternativen gegen die Sprühgifte. Im Mai dieses Jahres registrierten die US- und kanadischen Zulassungsbehörden die insektizide Saatgutbeize Poncho, Ergebnis einer Entwicklungskooperation zwischen der Bayer CropScience AG und Sumitomo Chemical Takeda Agro Co., Ltd. Das Mittel wirkt unter anderem gegen den Maiswurzelbohrer. Der Wirkstoff von Poncho heißt Clothianidin und gehört zur chemischen Gruppe der Neonicotinoide. Die Saatgutbehandlung ist die bisher gezielteste Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Dabei werden Mittel gewählt, die nur von Schädlingen aufgenommen werden.
„Pflanzenschutzmittel unterliegen einer umfassenden Zulassung, in der auch der Schutz der Nützlinge ein wichtiger Aspekt darstellt“, sagt Norbert Lemken, Pressesprecher der Bayer CropScience AG. „Nach der Saatgutbehandlung sind das Samenkorn und die junge Pflanze mehrere Wochen vor Schädlingen geschützt. Im Erntegut sind keine Rückstände mehr.“
Aber auch die Gentechnologen schlafen nicht. In den USA ist jetzt eine gentechnisch veränderte Maislinie (Mon 863, YieldGard Rootworm Corn) des Biotech-Unternehmens Monsanto genehmigt worden. In den Pflanzen bildet sich ein Bt-Toxin, das die Verdauung der Wurzelbohrer schädigt. Dabei ist einiges noch unklar. Zum Beispiel, wie groß die so genannten „Refugien“ sein sollen, das heißt Flächen mit konventionellem Mais innerhalb der Bt-Anbauzonen. Sollten sich Bt-resistente Insekten entwickeln, paaren sie sich in den Refugien mit nichtresistenten. Auf diese Weise werden die Resistenzgene in der nächsten Generation wieder geschwächt und ihre Verbreitung verlangsamt.
Bei alledem gibt es es ein ganz schlichtes Mittel gegen den Wurzelbohrer: Da nur die Eier den Winter überleben, sind die Tiere schon zum Tode verurteilt, wenn der Landwirt eine Fruchtfolge einhält und nur alle drei Jahre Mais anbaut. Nicht überall ist dies allerdings möglich, denn der Mais begnügt sich mit Böden, auf denen zum Beispiel Zuckerrüben oder Weizen nicht wachsen wollen.
Der Käfer und der Mais gehören von Natur aus offenbar zusammen. Wenn in einer Region nichteinheimische Kulturpflanzen angebaut werden, passiert immer das Gleiche. So hinkte der Kartoffelkäfer den vor 230 Jahren in Europa eingeführten Erdäpfeln nur um 100 Jahre hinterher. BARBARA KERNECK