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Archiv-Artikel

Durchsichtiger Preis

In Baden-Baden drückte dieses Jahr das Wetter auf die Diskussionsfreude der Fernsehpreis-Jury – schade, denn das macht die Veranstaltung aus

AUS BADEN-BADENSTEFFEN GRIMBERG

In Wirklichkeit sind die Preise des Baden-Badener Fernsehfilmfestivals alles andere als fernsehtauglich: Wie soll man eine Trophäe zum Behufe der TV-Berichterstattung aufnehmen, die aus zwei aufeinander gesetzten Glaskristall-Quadraten besteht? Verdammt durchsichtig das Ganze, es braucht also einen kontrastreichen Hintergrund.

Ein wenig galt das in diesem Jahr auch für das 14. Baden-Badener Festival: Keiner der zwölf Wettbewerbsfilme bei diesem kleinen Bruder des Adolf-Grimme-Preises verdiente das Prädikat „herausragend“. Die Entscheidungen der sechsköpfigen Jury waren denn auch so solide wie unspektakulär: Der Preis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, die hinter der ganzen Angelegenheit steckt, geht an das Historienepos „Schwabenkinder“ von Jo Baier. Der Film erzählt so souverän wie elegisch von einer geschichtlichen Ungeheuerlichkeit, die noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts zum Alltag in den Tiroler Alpen gehörte: Dem „Schwabengehen“ ganzer Generationen von Kindern armer Landarbeiter, die noch im Winter über das Hochgebirge ins Schwabenland aufbrachen, um dort wie Sklaven zum Dienst bei solventeren Herrschaften oder Bauern verkauft zu werden, da sie die eigenen Eltern nicht ernähren konnten.

„Teamworx“, Nico Hofmanns vom Erfolg verwöhnte Produktionsfirma, fährt praktischerweise mit dem Preis für die beste Teamleistung nach Hause. „Familienkreise“, Stefan Krohmers (Regie) in einem vor Selbstmitleid triefenden Bonn spielende Geschichte von der Rückkehr des egomanischen Auslandskorrespondenten Raimund Parz (Goetz George) in den Schoß seiner ohnehin kaputten Familie, die jetzt endgültig vor die Hunde geht.

Danach kam noch ein Preis für die Schauspielerin Nicolette Krebitz („So schnell du kannst“) – und dann war Schluss: Zum männlichen Darstellerpreis hat es in diesem Jahr nicht gereicht, und es gehört zur Souveränität des Festivals, hier nicht künstlich nachzuhelfen.

Doch nicht die Preise, sondern die öffentliche Diskussion der vorgeführten Filme durch die Jury und das immer fachkundigere Publikum im Kurhaus der mondän verschlafenen Millionärsstadt Baden-Baden machen den Charme des Festivals aus. Und ausgerechnet hier blieb die dritte und letzte Jury unter dem Vorsitz des langjährigen WDR-Chefdramaturgen Martin Wiebel so grau und unbestimmt wie das Novemberwetter: blass, detaillistisch und über weite Strecken viel zu harmonisch. Wo im vergangenen Jahr eine engagierte Martina Gedeck zornig gegen jeden Verdacht von Harmonie anrannte, konnte diesmal nur der Berliner Schriftsteller Sten Nadolny ein wenig Kontur in die Diskussion bringen.

Umso wichtiger war also auch hier der kontrastreiche Hintergrund. Der kam in Gestalt des traditionellen Fachpanels am Festival-Freitag, Thema diesmal – quasi als letzte von vielen Verbeugungen des Jahres 2003 zum 40. „Kleinen Fernsehspiel“-Geburtstag – der Nachwuchs.

Und hier war die engagierte Kontroverse wieder da: Natürlich bietet die ARD mit ihren diversen „Debüt“-Reihen und das ZDF mit seinem „Kleinen Fernsehspiel“ hervorragende Programmflächen für die allerersten Filme. Doch was, fragt der „Tatort“- und „Fahnder“-Regisseur Martin Eigler, passiert, wenn „Talente, die wir in eine Schublade gepackt haben, wo auch die Quote stimmt, noch mal aus solchen Erwartungsmustern ausbrechen wollen?“. Dann sieht es schon ganz anders aus mit den Sendeplätzen, denn nach maximal zwei Filmen beim ARD-Debüt bw. dreien beim Kleinen Fernsehspiel ist Schluss. Auch wenn beim ZDF „Ausnahmen“ für derlei „Ausbruchsfilme“ drin sind und Heike Hempel, die Chefin des Kleinen Fernsehspiels, zu mehr Experimentierfreude aufrief. Und sich am Ende wünschte, die Filmemacher „sollten das Fernsehen endlich mehr lieben, als sie es tun“.

Am Samstagabend dann gingen die Kristalltrophäen an ihre neuen Besitzer. Und es wurde noch mal die schöne Geschichte von Dominik Graf erzählt, der dereinst mit seinem Preis auf dem Nachhauseweg zu Brenners Parkhotel in einer Pfütze ausgeglitten war, wobei die ganze Herrlichkeit zu Bruch ging. Aber selbst das war kein Problem: Er bekam einfach einen neuen.