: Schweigen oder Sprechen
Ein Ausnahmefilm zum Holocaust: Mit einem Vortrag zum Auschwitzprozess und den Schwierigkeiten beim Bezeugen der Lagererfahrung führt Ronny Loewy heute im Metropolis in den Film „Zeugin aus der Hölle“ ein
Das weit reichende Schweigen der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu ihren Verbrechen im Nationalsozialismus ist nicht nur an Literatur und Theater, sondern auch am Film nicht vorbeigegangen. Bis in den 80ern wenigstens ein paar, allerdings vor allem US-amerikanische Auseinandersetzungen mit dem Holocaust über deutsche Leinwände und Fernsehbildschirme flimmerten, gab es bis auf einige Dokumentationen wenig zum Thema zu sehen. Eine der Ausnahmen, die deutsch-jugoslawische Koproduktion Zeugin aus der Hölle aus dem Jahr 1967, ist jetzt im Metropolis zu sehen.
Die Initiative für den Spielfilm ging von dem in Deutschland ansässigen Produzenten Artur Brauner (zuletzt Babij Jar) aus. Selbst Holocaust-Überlebender, beauftragte er 1965 Frida Filipovic, die Frau von Zica Mitrovic, dem späteren Regisseur des Films, mit dem Schreiben eines Drehbuchs. Handeln sollte es von einer Frau, die mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Befreiung aus Auschwitz von einem deutschen Staatsanwalt aufgesucht wird, um mithilfe ihrer Zeugenaussage einen Prozess gegen die Täter anzustrengen.
Ronny Loewy, der darüber heute im Metropolis auch einen Vortrag hält, hat auf die vielschichtigen Bezüge des Films zum Frankfurter Auschwitzprozess aufmerksam gemacht. Der Film wählte freilich mit Berlin einen fiktiven Ort der Gerichtsbarkeit, denn der Frankfurter Prozess war zur Zeit der Produktion des Films noch nicht zu einem Abschluss gekommen. Doch seine Hauptfigur Lea Weiss ist einer realen Frankfurter Zeugin nachempfunden: Dunja Wasserström, die im Lager überleben konnte, weil sie als Dolmetscherin (im Film wird sie zur Prostituierten) gearbeitet hatte und – so Loewy – auch Vorbild für die „Zeugin 5“ in Peter Weiss‘ Stück Die Ermittlung gewesen ist.
Anders als das der Form nach minimalistische Stück, das zu dieser Zeit bereits einige Aufführungen erlebt hatte, ist Zeugin aus der Hölle ein durchaus konventioneller Film. Die Hauptrolle wurde mit Irene Papas besetzt, die dem Publikum gerade durch den erfolgreichen Alexis Sorbas bekannt geworden war, der seinerzeit beliebte Heinz Drache spielte den Staatsanwalt.
Dass der Film trotzdem bei seinen Erstaufführungen kommerziell ein Flop wurde, wirft nicht nur ein Licht auf die anhaltende Verweigerung der Tätergeneration, sich mit dem Holocaust auseinander zu setzen, sondern auch auf die Studentenrevolte, die sich 1967 auf ihrem Höhepunkt befand und doch eigentlich gegen das Schweigen der Eltern Front machen wollte. Die bloße Anschuldigung scheint genügt zu haben, für eine tiefer gehende eigene Beschäftigung sah wohl kaum jemand Bedarf.
Den Schwierigkeiten einer ästhetischen Überformung der Judenvernichtung, denen Adorno in seinem Diktum, nach Auschwitz lasse sich kein Gedicht mehr schreiben, Ausdruck verliehen hat, begegnet Zeugin aus der Hölle erstaunlich unbekümmert. In einigen Rückblenden macht der Film die im Lager verübten Gräuel, wie sie Lea Weiss berichtet, ohne Umschweife für das Publikum ansichtig.
Auf der Ebene der Dialoge, das wird Ronny Loewy heute Abend genauer ausführen, werden Darstellungsschwierigkeiten allerdings sehr wohl verhandelt. Der nur auf seine Anklage bedachte Staatsanwalt macht es Lea Weiss unmöglich, auch darüber zu sprechen, dass das Lagersystem denjenigen, die überleben wollten, eine Beteiligung aufgezwungen hat. Die damit einhergehende Scham und die Angst, beim Erzählen das Geschehene noch einmal durchleben zu müssen, mithin die psychologischen Barrieren, die einer Vervollständigung des Bildes, das sich die Nachwelt von Auschwitz macht, im Weg stehen, werden vom Film eindrucksvoll in Szene gesetzt.
Christiane Müller-Lobeck
heute (Vortrag: Ronny Loewy), 19 Uhr, morgen und 7.12., 17 Uhr, Metropolis