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Archiv-Artikel

ein amerikaner in berlin ARNO HOLSCHUH über die gründliche Reinigung der Seele durch eine Wahrheitsdroge namens Hitze

Das Saunabad ist wahrscheinlich in jeder Kultur ein Ort der erhöhten Offenheit und Ehrlichkeit. Von Hitze geschwächt, hört das menschliche Gehirn auf, Aussagen zu zensieren. Mein erste Erfahrungen mit diesem Phänomen machte ich auf dem Lande in meinem Heimatbundesstaat Indiana, bei der Hütte meines Hippiefreunds Mark. Er war sehr beschäftigt mit der ungerechten Verteilung des Reichtums auf diesem Planeten und hatte aus Solidarität mit der Dritten Welt ein armseliges Häuslein im Wald gebaut, wo er in Sachen Armut und Elend Kleinbauern in Lateinamerika nachahmen konnte. Nicht einmal fließendes Wasser hatte Mark auf seinem Gut, aber sehr wohl eine Sauna.

Eines Abends saßen wir dort. Marks Seele muss wohl eine gründliche Reinigung gebraucht haben, denn er goss immer mehr Wasser über die glühenden Steine, bis meine Armbanduhr zu schmelzen begann. Endlich, als ich es nicht mehr aushalten konnte und schon herausgehen wollte, wandte er sich mir zu und sagte ohne Grund: „Arno, ich will einen Big Mac. Einen Big Mac, ein Auto mit Klimaanlage. Und eine Einbauküche.“

Nachdem er mir mit Hilfe der Schwindel erregenden Hitze seine verbotenen Konsumwünsche gebeichtet hatte, ging es Mark sofort besser. Er fing wieder an, neue Projekte für sich auszudenken. Als ich ihn zum letzten Mal sah, dachte er gerade darüber nach, sein Trinkwasser mit Cholera zu infizieren. „Schließlich müssen manche unserer Mitmenschen im Sudan damit fertig werden“, sagte er. Danach waren mir die Besuche bei ihm nicht mehr geheuer.

Hier in meiner Wahlheimat Berlin erfüllt die Sauna dieselbe Funktion. Es kommt zu sehr vertraulichen Gesprächen zwischen Fremden. Neulich lag ich auf der Saunabank, als eine Frau mir aus dem Nichts mitteilte, sie fände es schlecht, wenn Türken mit ihr in der Schwitzkabine seien.

„Wieso?“, fragte ich.

„Na ja, Sie wissen … sie sehen Frauen anders als wir Deutsche“, antwortete sie.

„Hm, ich weiß nicht, ich habe schon türkische Freunde, die recht modern sind“, entgegnete ich.

„Ja, vielleicht. Trotzdem bin ich froh, dass Sie Deutscher sind.“

„Bin ich gar nicht.“

Sie stand auf und ging.

Zur gleichen Zeit kamen zwei Herren rein. Sie sprachen über Ostafrika. Es stellte sich heraus, dass der eine aus Eritrea kam, der andere aus Äthiopien. Die beiden Länder führen seit langem Gelegenheitskriege, wodurch Eritrea immer wieder ausradiert und dann erneut ausgerufen wird. Die beiden Männer haben sich aber glänzend verstanden, was ich wieder dem Saunaeffekt zuschreibe. Sie einigten sich darauf, dass Krieg irrsinnig sei und alle Leute im Frieden leben sollten.

„Ihr seid nicht das Problem“, sagte der Äthiopier freundlich.

„Ihr auch nicht“, meinte der Eritreer noch freundlicher.

„Die Kriege in Afrika werden von den Amerikanern ausgelöst, weil sie Geld wollen“, fuhr der Äthiopier mit einem beschwipsten Grinsen fort.

„Ja, und der CIA“, sagte der Eritreer und kicherte.

Selbst vom wahrheitsdrogenähnlichen Effekt des Saunens überwältigt, outete ich mich als Amerikaner.

„Aha“, sagte der Eritreer.

„Oho“, sagte der Äthiopier.

„Ja“, ergänzte ich, „und ich kann euch versichern, ich persönlich habe nie einen Krieg in Afrika veranstaltet.“ Ich war so saunatrunken, dass ich sicher war, damit wäre ein großes Missverständnis beseitigt. Aber der Äthiopier sagte nur lakonisch, „man kann’s nie wissen“, und verließ mit dem Eritreer den Raum.

Als Ami ist es nicht immer leicht, Freundschaft zu schließen. Dafür kann man aber manchmal die Sauna für sich alleine haben.