Zu wenig in die Tiefe gekommen

In einem Spiel „ohne Feuerwerk“ neutralisieren sich Hannover 96 und VfB Stuttgart zu einem friedlichen 0:0

HANNOVER taz ■ Mallorca, Teneriffa, Tunesien: Sonne verheißend flimmerten mehrere Supersonderschnäppchen über die großformatigen Videoschirme, angeboten vom Trikotsponsor des Gastgebers. Die klimatische Realität im hannoverschen Stadion während der torlosen neunzig Minuten gegen den VfB Stuttgart indessen war in erster Linie von schnödem Nieselregen geprägt. Aber redet man inzwischen ungestraft über das Wetter? Ist das ein Einstieg, der einer Begegnung zwischen dem Vierten und dem Fünften der Liga würdig ist? Kaum. Bemerkenswert ist der Kontrast zwischen Wärmeversprechen und nasskühler Witterung eigentlich nur, weil der Transportflug nach Mallorca schlappe drei Euro teurer ist als die billigste Sitzplatzkarte bei Hannover 96.

Lässt man die klassisch unverwüstlichen Gesprächsthemen Wetter und Geld beiseite, ist von einer ausgeglichenen Begegnung zu berichten, in der sich die Kontrahenten – wie etliche Stellungnahmen lauteten – „weitgehend neutralisierten“ und mit deren Ergebnis beide Trainer zufrieden waren. Während der realistische Ewald Lienen zwei Tage zuvor darauf hingewiesen hatte, er glaube nicht, „dass wir davon sprechen können, mit Stuttgart auf Augenhöhe zu sein“, erinnerte sich Matthias Sammer nach dem Spiel an seine Reaktion auf die Bilder, die er in der Vorbereitung studiert hatte. Er habe „mit den Ohren geschlackert“, als er den 2:0-Heimsieg der 96er über Mainz gesehen habe.

Dass Stuttgarts Auftritt drei Tage vorher in Heerenveen verheerend gewesen wäre, würde nur ein Wortspielplatzwart konstruieren können, um einen zweifelhaften Kracher loszuwerden. Eher unglücklich war die 0:1-Niederlage der Schwaben beim Uefa-Cup-Gegner. Allerdings haben sie jetzt nur drei der letzten zehn Pflichtspiele gewonnen und in den letzten fünf nur ein Tor geschossen. Zahlenkolonnen dieser Art sagen gemeinhin wenig aus, auch wenn sie paradoxerweise eine gewisse Eigendynamik entwickeln können, wovon Sammer aber nichts wissen wollte: „Solche Phasen gibt es. Das ist einfach so.“ Dass den Stuttgartern am Sonntagabend kein Treffer gelang, lag an dem wie gewohnt vorzüglichen Defensivverhalten der Hannoveraner. Torwart Enke, der längst als der wichtigste Einkauf der letzten Jahre gilt, hatte „kaum etwas zu tun, nicht mal Flanken“.

Kompakt, konzentriert, kontrolliert – die stabreimenden, in den Ohren einiger Beobachter euphemistischen Adjektive, die das aktuelle Erscheinungsbild der Hannoveraner beschreiben, sodass ihnen sogar schon eine konzeptionelle Nähe zu Europameister Griechenland nachgesagt wurde, charakterisierten auch ihr Auftreten im zweiten Unentschieden in Folge zutreffend. Gleichwohl mangelte es im Vergleich zu den letzten Heimspielen an konkreten Torchancen. Man sei „zu wenig in die Tiefe gekommen“, wie Lienen es nannte. Die Stoppuhr zeigte 17 Minuten und 19 Sekunden, als der starke Dabrowski für 96 zum ersten Mal gefährlich Richtung Tor schoss, Stendels Strafraum-Solo bald darauf wurde fälschlicherweise abgepfiffen, und sogar fast eine Stunde verging, bis VfB-Schlussmann Hildebrandt sich strecken musste: Silvio Schröter – nicht nur Dresdner wie Matthias Sammer, sondern dessen Ansicht nach auch „einer der stärksten Außenspieler der Liga“ – hatte von der Strafraumgrenze abgezogen.

Und dann waren Pfiffe zu hören aus der Nordkurve, von dort, wo die Fans stehen, die vor Beginn noch ihrem Trainer zum 51. Geburtstag lauthals gratuliert hatten. Waren sie ungehalten, weil ihnen „kein Fußball-Feuerwerk“ (Enke) geboten wurde, sind die Ansprüche in schwindelnde Höhen gestiegen, die Erwartungen ins Unermessliche? Das noch nicht. Vielmehr skandierten die Fans einen unmittelbar einleuchtenden Wunsch: „Wir woll’n den Stajner sehen!“ Lienen ließ sich nicht lange bitten und brachte seinen spektakulärsten, weil unberechenbaren Stürmer. Aber dem erging es in zwei, drei Situationen nicht anders als seinen Kollegen hüben wie drüben. Er rutschte auf dem rutschigen Rasen aus. Schuld daran war das Wetter, so dass dem, natürlich gegen jede Absicht, nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort gehört.

DIETRICH ZUR NEDDEN