Die Pressekrankheit

Aids ist ein prominentes Thema in den afrikanischen Medien. Doch die meisten Berichte über die Seuche gehen am Leben der Menschen vorbei. Journalistenschulungen sollen das ändern

AUS ARUSHA ANDREAS UNGER

„Sex ohne Kondom ist wie Duschen im Regenmantel“, sagt Princel Seleman aus Tansania, legt den Rastalockenkopf schief und grinst in die Runde. Er ist sich trotz des hinkenden Vergleichs eines Lachers sicher. Nahe Arusha, dem tansanischen Tourismuszentrum, sitzt er mit zwölf Kollegen zwischen 21 und 35 Jahren aus dem südlichen Afrika inmitten eines hellen Glasbaus im Grünen, um mehr über Aids zu lernen. Das Berliner Internationale Institut für Journalismus (IIJ), inzwischen unter dem Dach der Entwicklungsorganisation inwent, veranstaltet seit über 40 Jahren Fortbildungen für Printjournalisten aus Entwicklungsländern.

Wie groß der Bedarf ist, zeigt die Einstellung der Teilnehmer zu HIV. Nur die Hälfte hat sich schon mal testen lassen. „Weil ich Angst vor dem Ergebnis habe“, sagt eine. Ihr Kollege gibt zu, regelmäßig ungeschützten Verkehr zu haben. Ein dritter konstatiert nüchtern, dass Frauen, die sich aufreizend anziehen, nun mal leichter vergewaltigt würden als züchtige. Aids ist ein wichtiges Thema in afrikanischen Zeitungen – es werde aber häufig sensationalistisch aufgegriffen oder für die Leser schwer verständlich verpackt, kritisiert inwent-Mitarbeiterin Sabine Emmerich. Sie erwartet von der Presse, dass sie „Druck auf Eliten ausübt, die Brisanz des Themas anzuerkennen“.

Sie spricht damit das Reichweiten-Problem an: Allenfalls Teile der Mittel- und Oberschicht sind in Afrika über Qualitätszeitungen erreichbar. „Und es hängt vielen Leuten zu den Ohren raus. Im tansanischen Radio ist das Thema so präsent, dass manche schon von Aids als der ‚Radio-Krankheit‘ sprechen“, sagt Biologin Regina Görgen. Sie soll die Teilnehmer fachlich auf den aktuellen Stand bringen. Dass dorthin ein weiter Weg ist, zeigt eine Umfrage: Gut 40 Prozent der Teilnehmer sind sich nicht sicher, wie HIV genau übertragen wird. Ein Drittel fragt, wie lange man nach einem Risikokontakt warten muss, um sich testen zu lassen. Die Schweizer Journalistin Christina Stucky kümmert sich ums journalistische Handwerkszeug: „Man stirbt nicht an Aids, sondern an den Folgen davon.“ Kinder, deren Eltern Aids-Opfer sind, seien keine „Aids-Waisen“, denn sie sind nicht unbedingt selbst daran erkrankt. Auch pauschale Dramatisierungen, die die Opfer stigmatisieren, sollen vermieden werden.

Alle Dozenten sind Europaer, alle Teilnehmer Afrikaner. „Klar bin ich mir bewusst, dass das als eine Art ‚Neokolonialismus‘ gewertet werden könnte“, sagt Stucky. Gerade das Zusammentreffen von Europäern und Afrikanern bei solchen Schulungen ermöglicht es aber erst, gemeinsam eine sachliche Basis zu finden. Noch sind in Afrika Aberglaube und Verschwörungstheorien in Bezug auf HIV weit verbreitet – manchem gilt es immer noch als von Weißen gegen Schwarze eingesetztes Virus.

Aus diesem Problembewusstsein heraus wird bei der Schulung ohnehin mehr moderiert als doziert. Dann kommen Dinge zum Vorschein, an die ein Europäer nicht unbedingt denkt. Etwa wenn Ifeyinwa Omowole aus Nigeria erklärt, warum Frauen so wenig Einfluss in sexuellen Dingen haben: „Wenn eine Frau einen Mann bittet, ein Kondom zu tragen, gilt sie als Schlampe“, sagt sie. „Der Mann würde es für mangelndes Vertrauen halten oder denken, die Frau sei promisk.“ Wie führt man ein Interview mit einem HIV-positiven Kind?, lautet eine Aufgabe, mit der sich Teilnehmer in einem Rollenspiel beschäftigen. In der Nachbarstadt Moshi besuchen die Jungredakteure den zwölf Jahre alten William. Er hat seit seiner Geburt HIV. Seit seine Eltern gestorben sind, wohnt er mit seiner Großmutter in einer Hütte, deren rostiges Wellblechdach so rot ist wie der staubige Boden. Lucy Mayenga aus Tansania ist mit ihren Stöckelschuhen etwas unsicher auf den Beinen. Gerald Walulya aus Uganda beschreitet den Weg in frisch geputzten Wildlederschuhen. Seine Krawatte weht im Wind. Die Horde Jungjournalisten macht William scheu.

Niemand stellt die Frage, ob dieser Auftritt angemessen ist. Jeder findet den kleinen Kerl mit den tiefbraunen Kulleraugen und dem abgewetzten roten Pulli „süß“, „stark“ und „mutig“. Doch einige finden solcherlei Verniedlichung stigmatisierend. Princel Seleman sagt, William habe es verdient, so beschrieben zu werden, wie er ist: ein Kind, das zur Schule geht, Freunde hat und ein Zuhause. „Das Kind ist so normal. Ein ganz normales, HIV-positives Kind.“ So ein Satz darf als Erfolg des Seminars gewertet werden: Seleman hat verstanden, was Biologin Goergen tags zuvor erklärt hatte: „Aids ist einfach eine chronische Krankheit.“