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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf So falsch wie Schalke 05

Fritz Tietz ist sich heute schon sicher, dass der Sieger der Fußball-WM 2006 in Deutschland nur Gerhard Schröder heißen kann

FRITZ TIETZ ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Vor der Bundestagswahl 2002 ließ er die halbe Ostzone fluten, nur um sich hernach als gummibestiefelter Katastrophenbewältiger beim deutschen Stimmvieh dicke tun zu können. Im Wahljahr 2006 muss Gerhard Schröder nicht zu derart drastischen Methoden greifen. Längst hat er nämlich zur Absicherung seiner Wiederwahl den deutschen Titelgewinn bei der Fußball-WM angeordnet. Wie ihn das Hochwasser seinerzeit erneut ins Kanzleramt spülte, so wird ihm das dieses Mal im Sog der WM-Begeisterung gelingen; so jedenfalls Schröders Kalkül und langfristig gehegter Plan.

Zu dem maßgeblich auch gehörte, die WM auf jeden Fall in Deutschland stattfinden zu lassen. Nichts blieb damals unversucht, den Zuschlag zu erhalten. Am Ende wurde sogar die Satire-Zeitschrift Titanic eingespannt, der dann tatsächlich der entscheidende Scherz gelang. Die Mühe und Bestechungskosten dürften sich gelohnt haben. Denn das ist ja wohl so klar wie, sagen wir mal, der Bundesliga-Abstieg Hansa Rostocks: So viele Wahlversprechen kann Schröder gar nicht machen, als dass damit jener positive Wählereffekt auch nur annähernd erreicht würde, der ihm als Regierungschef des Ausrichterlandes quasi automatisch und vergleichsweise unaufwendig zufällt: Hier eine fernsehgerechte Händeschüttelei mit irgendwelchen Fifa-Greisen, dort ein eigens zur TV-Schau aufgesetztes Mitfiebergesicht im Stadion, dazu nach Spielende ein launiges Statement bei Poschi und anschließend ein spontaner Besuch im deutschen Kabinentrakt samt einem Super-Laune-Foto mit dem frisch gebackenen Bundeshonigkuchenpferd Jürgen Klinsmann. Das bringt die Wählerstimmen.

Eine ebenso unverhoffte wie großzügige Wahlhilfe soll Schröder im WM-Jahr durch die heimische Wirtschaft erfahren. Etliche deutsche Großkonzerne entsandten Anfang November ihre Bosse ins Kanzleramt, um so dessen Chef und der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass Gerhard Schröder neben Hampelmännern wie den Scorpions, Sönke Wortmann, Manfred Bissinger oder Marius Müller-Westernhagen auch richtig potente Freunde hat. Offenbar sehen die Konzernspitzen in dem Agenda-Man mittlerweile ein weitaus willfährigeres Aushängeschild für die Interessen des Geldgesindels als dessen angestammte Interessenwalter; die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wird jedenfalls derzeit vom deutschen Top-Management nur noch als Mundwinkelhängeschild gehandelt.

Und so legte man dem Kanzler für 2006 eine vom Bundesverband der Industrie (BDI) konzipierte und mit 10 bis 20 Millionen Euro budgetierte PR-Kampagne zu Füßen, mittels der man das von Schröder und BDI gemeinsam ruinierte Deutschland während der WM als prosperierendes Gemeinwesen darzustellen beabsichtigt. „Ein schöneres Geschenk hätte die Industrie dem Kanzler kaum machen können“, behudelte die Sonntags-FAZ das 60-seitige Ideenpapier. Wenn sie sich da mal nicht täuscht. Das jedenfalls argwöhnen die, die das Papier gelesen haben: „Mit jeder Seite wird es schlimmer“, sagte ein ungenannter „Insider“ in der Welt am Sonntag. Von Schuhplattler-Events und Trachtengruppen sei da unter anderem die Rede.

Auch der vorläufige Kampagnentitel lässt Übles ahnen: „1. FC Deutschland 06“ lautet der dämlicherweise. „1. FC“ soll wohl eine Chiffre für Erstklassigkeit sein. Tatsächlich assoziiert man damit bloß mittelmäßigen Fußball wie den vom 1. FC Nürnberg, 1. FC Kaiserslautern oder 1. FC Köln gepflegten. In Anlehnung etwa an den Rekordmeister nur vom FC Deutschland zu sprechen, ginge allerdings auch nicht, da unter eben diesem Rubrum gerade erst eine eher abträgliche Diskussion über die Ausländerbeschränkung in der Bundesliga geführt wurde. Von Borussia Deutschland sollte aus gegebenem Anlass derzeit auch besser niemand reden. Wenn überhaupt, wären Werder Deutschland oder Arminia Deutschland die augenblicklich opportunsten Kampagnennamen. Gar nicht dagegen geht das Kürzel 06. Obschon jedem klar sein dürfte, dass damit das WM-Jahr gemeint ist, gemahnt es doch zu sehr an jenen unsterblichen Versprecher der legendären Carmen Thomas: Deutschland 06 klingt mindestens so falsch wie Schalke 05.