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Archiv-Artikel

Rentenkasse leer – dank Minijobs

Sozialbeirat tadelt Regierung für optimistische Rentenprognose. Mini- statt Vollzeitjobs belasten Kassen

BERLIN taz ■ Das Rentenjahr 2005 wird auch nicht schön. Die 20 Millionen deutschen Rentner werden eine weitere Nullrunde zu erdulden haben. Die wird ihnen wie eine Rentenkürzung vorkommen, weil es Mitte des Jahres eine Verschiebung des Krankenkassenbeitrags zu Lasten der Versicherten gibt. Wer die Durchschnittsrente von 1.000 Euro hat, muss dann 4,50 Euro mehr für die Krankenversicherung zahlen.

Den Rentenkassen steht außerdem eine gigantische interne Reform bevor: Die Rentenversicherung der Angestellten verschmilzt im Oktober mit der Rentenversicherung der Arbeiter zur „Deutschen Rentenversicherung“. Derartige institutionelle Umbauten sind, was Verwaltungswirbel aller Art angeht, ausgesprochen skandalträchtig.

Der Verband der Rentenversicherer (VDR) hat zudem schon darauf hingewiesen, dass das Reservepolster der Rentenkassen auf ein unverantwortliches Maß abgeschmolzen wurde. Bei der Schwankungsreserve „ist die Schallgrenze schon unterschritten“, sagt VDR-Geschäftsführer Franz Ruland. Erstmals wird Ende 2005 wohl ein Kredit von Finanzminister Hans Eichel nötig werden, um die Renten auszahlen zu können. Auch das gibt hässliche Schlagzeilen.

Von all dem unbeeindruckt verabschiedete das Bundeskabinett gestern seinen jährlichen Rentenversicherungsbericht. Der bestand vor allem im Versprechen, dass der Beitrag zur Rentenversicherung bis 2008 stabil bei 19,5 Prozent bleibe. Die Renten könnten ab 2006 wieder steigen.

Für diese trotzige Fröhlichkeit wurde die Regierung jedoch von ihren selbst bestellten Experten getadelt: Wie vor zwei Wochen der Wirtschafts-Sachverständigenrat erklärte gestern der Sozialbeirat, dass die Annahmen der Regierung zur erwarteten Wirtschaftslage „sehr optimistisch“ beziehungsweise „sehr ambitioniert“ seien. Der Sozialbeirat bezweifelt, dass der Beitragssatz von 19,5 Prozent im Jahr 2006 „gehalten werden“ kann.

Die Rentenexperten aller Gremien haben einen Faktor ausgemacht, der die Rentenkassen neben Arbeitslosigkeit und schwachem Lohnwachstum besonders strapaziert: Die Minijobs. Als Erfolg am Arbeitsmarkt bejubelt, entziehen die nur beschränkt sozialversicherungspflichtigen 400-Euro-Jobs seit ihrer Einführung im April 2003 den Sozialkassen das Geld. Die Indizien häufen sich, dass nicht etwa Arbeitslose dank Minijobs in den Arbeitsmarkt kommen, sondern dass voll sozialversicherungspflichtige Jobs zugunsten der Minijobs abgebaut werden.

So erwartet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, dass 2005 zwar rund 120.000 Menschen neue Arbeit finden. Doch dies seien vor allem Teilzeit- und Minijobber. Die Zahl der regulären Jobs dagegen wird weiter – um etwa 215.000 – schrumpfen, prognostiziert das IAB.

Versicherer und Bundesregierung sagen bisher nichts zu diesem Zusammenhang – es gebe „keine belastbaren Daten“. Die Gewerkschaften sammeln jedoch Beweise, dass Rot-Grün mit den Arbeitsmarktreformen die Sozialkassen ruiniert. Erste Ergebnisse von Umfragen etwa der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten zeigen, dass dort, wo Vollzeitarbeitskräfte gehen, „Geringfügige eingestellt werden“, erklärt Birgit Pitsch von der NGG Hamburg. ULRIKE WINKELMANN