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Archiv-Artikel

„Das ist Wildwuchs“

Am Montag wird Ver.di-Vize Frank Werneke wieder mit den Verlegern um Tarife feilschen – ein Gespräch über Fusionskontrolle und Presseförderung

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERGUND THILO KNOTT

taz: Herr Werneke, wie viele Zeitungen gibt es in zehn Jahren überhaupt noch?

Frank Werneke: Wenn, wie jetzt diskutiert, die Pressefusionskontrolle aufgehoben oder geschwächt erden sollte, befürchte ich, dass sich die Strukturen v. a. in Westdeutschland ändern. Wir haben, etwa in Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Bayern, eine ausgeprägte Struktur von Regionalzeitungen in Familienbesitz. Ich fürchte, dass diese nicht mehr existieren wird.

Die Verleger wollen die Schwelle, ab der Aufkäufe und Fusionen vom Kartellamt zu prüfen sind, vervierfachen. Was genau ist denn so schlecht daran, wenn eine kriselnde Zeitung aufgekauft wird und so weiterbestehen kann?

Nichts, das gab es ja in den letzten Jahren auch immer. Aber mit der Chance, dass die Folgen vom Bundeskartellamt bewertet werden und dieses, wenn notwendig, eingreift. Das Heraufsetzen des Schwellenwerts würde Fusionen der allgemeinen Beobachtung und Begleitung entziehen. Da wäre dann Wildwuchs an der Tagesordnung.

Was wächst denn wild?

Es würde ein schleichender Prozess angestoßen: Da wird dann zum Beispiel aus zwei benachbarten Zeitungen zunächst eine ökonomische Einheit – und irgendwann aus zwei Titeln einer.

Die Verleger sagen, anders sei der herrschenden Krise nicht bezukommen.

Gut: Die Anzeigenmärkte werden sich auf dem momentanen Niveau stabilisieren. Rubrikenmärkte wie Stellenanzeigen werden sich vielleicht nicht mehr in dem Ausmaß in den Zeitungen finden. Der Verkaufs- und Abopreis wird als Einnahme immer wichtiger. Entscheidend ist daher doch, dass man ein Qualitätsprodukt anbietet, um diese Vertriebserlöse zu bekommen. Und das ist momentan die Achillesferse: Wenn man jetzt auch Redaktionen ausdünnt, können überhaupt noch Qualitätszeitungen angeboten werden?

Manche Verlage sagen nun: Wir legen auf der Verlagsseite alles zusammen, garantieren aber die redaktionelle Unabhängigkeit. Wirtschaftsminister Clement kann offenbar mit so einem Modell leben – Sie auch?

Auf keinen Fall. Auf Dauer können Redaktionen doch nicht unabhängig von der Verlagsseite existieren. Das ist Augenwischerei und klappt höchstens während einer Übergangsphase, wo dann die redaktionelle Arbeit unter ökonomischen Gesichtspunkten genau bewertet wird.

Wie wollen Sie dann solche Fusionen verhindern?

Wir brauchen eine andere Presseförderung, die nicht nach dem Gießkannenprinzip wie bei der ermäßigten Mehrwertsteuer verfährt, sondern qualitative Elemente berücksichtigt.

Als da wären?

In Frankreich oder Skandinavien werden zum Beispiel gezielt Regionalzeitungen Vorteile geboten. Außerdem müssen Neugründungen eine echte Chance bekommen. Es kann doch nicht sein, dass es in Deutschland nach der taz und der Financial Times Deutschland keine andere Zeitung geschafft hat, sich am Markt zu etablieren.

Was ist mit Zeitungen, die aktuell kriseln – wäre das auch ein Kriterium?

Dazu müssten erst einmal die Bücher offen gelegt werden. Wir wissen doch gar nicht, wie es in den meisten Betrieben aussieht, weil Zeitungen Tendenzbetriebe sind und wir nicht an die Wirtschaftsdaten herankommen. Die Tatsache, dass in Zeitungsverlagen die Wirtschaftsdaten verheimlicht werden, ist so verinnerlicht und akzeptiert, dass da tatsächlich zu wenig nachgefragt wird. Wenn ein Verlag in der Krise Tarifabsenkungen haben will, machen wir das ja auch nur, wenn auf diese Weise Kündigungen ausgeschlossen werden können.

In der aktuellen Tarifrunde haben Sie dies auch den Arbeitgebern angeboten. Die aber lachen nur darüber.

Viele Verlage lachen da nicht, sondern treten auf uns zu, wenn sie in einer Notlage sind.

Mag sein, aber die Forderungen der Verleger gehen doch trotzdem weit über Ihr Angebot hinaus.

Das stimmt. Sie wollen eine generelle Tarifabsenkung, sie wollen Öffnungsklauseln ohne Beschäftigungssicherung. Ich sehe aber nicht, dass eine allgemeine Tarifabsenkung angemessen und von den Arbeitgebern durchsetzbar ist.

Das müssen Sie als Ver.di-Verhandlungsführer jetzt natürlich sagen.

Die Arbeitgeber haben unterschätzt, welches Widerstandspotenzial bei den Redakteuren vorhanden ist. Es ist nicht einsehbar, dass solide Firmen wie Springer oder die WAZ-Gruppe da etwas geschenkt bekommen sollen.