: What‘s the name of the game?
Warum unsere Kritik nicht an der Uni endet
Derzeit erleben wir die größte Welle von Studierendenprotesten seit 1997. Es werden Parteigebäude, Institute und kleinere Zeitungsredaktionen besetzt, Straßen blockiert, Demonstrationen durchgeführt und öffentliche Seminare abgehalten. Die Protestformen sind vielfältig und kaum übersehbar.
Ebenso offensichtlich sind die Gründe des studentischen Ärgers: Ganze Fakultäten werden geschlossen, Seminarräume quellen über, Bibliotheken sind unzureichend ausgestattet, und überdies drohen Studiengebühren und Schwindel erregende NCs. Kurz, die Hochschulen kämpfen um ihr Überleben. Und doch – bei allem Bedauern – sind auch sie nur ein weiteres Glied in einer langen Kette gesamtgesellschaftlicher Einschnitte, die so gerne im freundlichen Gewand von „Reformen“ daherkommen. Sozialer Kahlschlag, Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze seien stellvertretend genannt. Auch hier ist Unmut spürbar, aber noch ist er diffus und eher resignativ: Sparen müssen wir schließlich alle, und so werden zähneknirschend persönliche Einbußen in der Gesundheitsfürsorge, den Arbeitsverhältnissen oder den Renten hingenommen.
Auch dem wachsenden psychischen Druck durch erhöhte Anforderungen an individuelle Flexibilität und Leistung muss standgehalten werden, um den Standort Deutschland konkurrenzfähig zu halten. Denn dieser verspricht zumindest eine vage Hoffnung auf eine schönere Zukunft. Ein starker Standort belebt die Wirtschaft, und eine florierende Wirtschaft sichert zahlreiche gut bezahlte Arbeitsplätze im Lande. Da staunt der Laie, und der Fachmensch wundert sich. Diese Logik bleibt weitestgehend unhinterfragt.
Ist es nicht möglicherweise so, dass prekäre Arbeitsverhältnisse vielmehr in eine Abwärtsspirale der Unsicherheit führen? Führt nicht die Angst um den eigenen Arbeitsplatz dazu, immer schlechtere Bedingungen akzeptieren zu müssen?
Wie im Kleinen so im Großen. Nicht nur auf dem hiesigen Arbeitsmarkt befinden sich Arbeitskräfte in ständiger Konkurrenz zueinander, auch Nationalstaaten konkurrieren um einen Platz an der Sonne im weltweiten Standortvergleich. Dabei geht die Attraktivität als Wirtschaftsstandort nicht selten einher mit dem bereits skizzierten Verlust an Lebensqualität, was sich in zahlreichen Ländern der Welt tagtäglich beobachten lässt. Stellvertretend seien so genannte Sweatshops aufgeführt, in denen vorwiegend Frauen unter härtesten Bedingungen bei geringster Bezahlung Kleidungsstücke für die KonsumentInnen der wohlhabenden Industrienationen produzieren.
Tja, alles sehr unerfreulich so weit. Aber woran liegt es, dass die Welt so gemein ist? Die Probleme sind nicht neu, und die Struktur dahinter ist es ebenso wenig. Sie ist seit einiger Zeit bekannt und hört auf den schönen Namen Kapitalismus. Kapitalismus? Ach herrje – und nu? Kritik an bloßen Symptomen des Kapitalismus erscheint zunächst einmal verständlich, greift aber zu kurz, beziehungsweise verfehlt den eigentlichen Kern. So ist es widersinnig, ein kapitalistisches System wie die „soziale Marktwirtschaft“ zu vertreten, dabei aber gleichzeitig die Unannehmlichkeiten des Neoliberalismus kritisieren zu wollen.
Beides sind lediglich unterschiedliche Manifestationen derselben Verwertungslogik. Wer Kekse im Bett isst, liegt halt auf Krümeln. Was also tun gegen das Elend der Welt und das Elend des Kapitalismus? Zunächst einmal fällt es schwer, moralische Maßstäbe anzulegen. Kapitalismus ist nun einmal nicht besser oder schlechter, sondern einfach kapitalistisch. Insofern ist es fragwürdig, in den diversen Protestaktionen Probleme zu personalisieren und Schuldige zu suchen. Schuld sind nicht „die da oben“, die Bankgesellschaft, die Bundesregierung, die USA oder sonst wer, auch wenn innerhalb bestimmter Rahmen durchaus Verantwortlichkeiten existieren. So ändert beispielsweise die Frage nach dem Umfang sozialer Leistungen nichts an der systembedingten Ungleichverteilung von Wohlstand, trotzdem ist sie unbedingt zu stellen. Selbstverständlich ist unser Alltag geprägt von politischen Entscheidungen und Strukturen. Ebenso selbstverständlich können diese also auf politischer Ebene verändert werden. Daher ist es notwendig, den Herrschenden zur Not auch einmal kräftig auf die Füße zu treten. Wir überwinden dadurch nicht den Kapitalismus, erweitern aber zumindest die eigenen Nischen und Freiräume, die Bedingung eines emanzipatorischen Lebens sind. Wir brauchen Aktionen und Streiks wie derzeit, wir brauchen sie weltweit, und wir brauchen sie offensiver und radikaler, aber vielleicht brauchen wir sie nicht so sehr, um „die Öffentlichkeit“ mit unseren farbenfrohen Aktionen zu erfreuen, sondern vielmehr um uns die Räume zu erkämpfen, in denen wir selbst gestalten und handeln. Es kann nicht darum gehen, auf Sachzwangebene zu argumentieren oder nur zu hoffen, dass unser Handeln der medialen Eventauffassung entspricht, so dass wir im bestehenden Diskurs beachtet und bewertet werden.
Wir wollen eigene Diskurse schaffen. Vielleicht geht es letztendlich einfach um die Frage, wie wir leben wollen, jenseits der kapitalistischen Logik, jenseits von Sachzwängen und Realpolitik. Wenn wir gemeinsam Wege gehen, um nach praktischen Antworten zu suchen, kann dieser Protest zum Widerstand werden. Freiräume wird uns niemand geben, deshalb müssen wir sie uns nehmen.