piwik no script img

Archiv-Artikel

Kandidat im Regen

MACHTKAMPF Von Teilen der eigenen Partei boykottiert, kämpft SPD-Mann Danial Ilkhanipour um das Bundestagsmandat des von ihm ausgestochenen Niels Annen

Der Juso-Chef weiß, wie er sich zu inszenieren hat. Er hat für alle, die stehen bleiben, ein offenes Ohr

VON MARCO CARINI

Der Wettergott lässt Danial Ilkhanipour im Regen stehen. Beständig geht ein leichter Niesel-Griesel an diesem kühlen Maitag nieder, eine Feuchtigkeit, die durch Nähte dringt und sich unter die Klamotten schiebt. Doch der Wahlkämpfer macht gute Miene. Seit drei Stunden stellt er sich offensiv den vorbeieilenden Straßenfest-Besuchern in den Weg, immer zum Handschlag bereit: „Ich bin ihr Kandidat.“ An Danial Ilkhanipour kommt man so leicht nicht vorbei.

Der 27-Jährige macht Turbo-Wahlkampf: gegen die CDU, die Grünen, auch gegen Teile seiner eigenen Partei. Der Mann, das merkt man, will es allen beweisen. Vor allem jenen Eimsbüttler Genossen, die ihm jede Wahlkampfunterstützung verweigern, weil sie ihm bis heute vorwerfen, den Eimsbüttler SPD-Bundestagsabgeordneten Niels Annen handstreichartig weggeputscht zu haben.

Ilkhanipour will in den Bundestag, koste es, was es wolle. Es ist seine erste und letzte Chance. Denn innerhalb der eigenen Partei ist er weitgehend verbrannt – ohne Chance, noch mal für einen gehobenen Posten, ein wichtiges Mandat nominiert zu werden.

Für den Wahlkampf sieht sich Ilkhanipour gut gerüstet, obwohl viele Eimsbüttler „Parteifreunde“ hinter vorgehaltener Hand dazu auffordern, „doch lieber den Kruse von der CDU zu wählen“. Eine SPD-interne Initiative für ein „maulwurfsfreies Eimsbüttel“ hat sich gegründet. Vor allem die Genossen aus Niendorf und Stellingen sähen ihren Wahlkreiskandidaten lieber auf dem Mond als im Bundestag.

Doch der Juso-Chef Ilkhanipour verfügt über sein eigenes Wahlkampfteam. An Geld fehle es noch, aber genügend „Manpower“ habe er für den Wahlkampf, erklärt er und verweist stolz auf die 450 Stellschilder mit seinem Konterfei, die „schon draußen“ seien.

Es sind vor allem befreundete Jusos, die ihn an diesem Wochenende bei seinen Wahlkampfaktivitäten unterstützen. Einer von ihnen ist Dennis Heinbokel, bis Mai vergangenen Jahres Eimsbüttler Juso-Chef. Seine Aufgabe ist es, den Passanten zu erklären, dass die Wahl Ilkhanipours natürlich ganz „legal“ verlaufen und nur ein Zeichen „innerparteilicher Demokratie“ in der SPD sei. Dass die meisten Genossen das anders sehen, ficht Heimbokel nicht an.

Ilkhanipour selbst kann nicht widerstehen, seinem ausgestochenen Konkurrenten in beiläufig klingenden Nebensätzen noch schnell einen mitzugeben. Im Gegensatz zu Annen, habe er, der ehemalige Jurastudent, „zumindest einen Abschluss“. Deshalb sei er „nicht auf eine Karriere als Politiker angewiesen“, könne „morgen in der Wirtschaft anfangen zu arbeiten“. Dass sein Baccala-Abschluss auf dem Arbeitsmarkt nahezu wertlos ist, verschweigt er lieber.

Doch der Name Nils Annen fällt selten. Die meisten Menschen, mit denen Ilkhanipour ins Gespräch kommt, scheinen die genauen Umstände seiner Kandidatur nicht zu kennen – oder sich nicht dafür zu interessieren. Nur ein paar Passanten beschimpfen ihn im Vorbeigehen, mal wegen seiner Kampf-Kandidatur, mitunter aber auch wegen seiner Hautfarbe. „Geh doch zurück nach Indien“, bekommt der Sohn iranischer Einwanderer zu hören. Doch das ist er gewohnt.

Fast zwölf Stunden steht Ilkhanipour an diesem Wochenende im Nieselregen, mal in der Grindelallee, dann in der Osterstraße. Ein erstaunliches Pensum, bedenkt man, dass für fast alle anderen Kandidaten der Bundestagswahlkampf noch nicht einmal begonnen hat und die Stände der Konkurrenz allenfalls für ihre Europa-Kandidaten werben. Ein paar Flyer des SPD-Europa-Kandidaten Knut Fleckenstein verteilt Ilkhanipour pflichtschuldig, doch die sind bald vergriffen. Ilkhanipour macht nur für einen Wahlkampf: Für sich selbst.

Der Juso-Chef weiß, wie er sich als Politiker zu inszenieren hat. Er hat für alle, die ein paar Minuten stehen bleiben, ein offenes Ohr. Selbst den Mann, der ihn mehr als eine Stunde mit Lebensbeichten belegt, mag er kaum abwimmeln. Wer immer ein Problem mit irgendwelchen Behörden hat, der solle sich in seinem Wahlkampfbüro telefonisch melden.

„Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann“, sagt er und vergisst dabei aber nie den Nachsatz, der klingt wie das „ohne Gewähr“ nach den Lottozahlen: „Ich kann Ihnen natürlich nichts versprechen.“

In den vergangenen Wochen sind Ilkhanipour Rundungen gewachsen, die in seinem glatten Gesicht wie Babyspeck wirken. Darauf angesprochen erzählt der Juso-Chef die Geschichte vom Doppel-Whopper, mit dem er noch kurz vor Mitternacht im Auto seinen Hunger stillt. Das Politiker-Leben ist hart, da bleibt keine Zeit für gesunde Ernährung. Eine Dose Cola ist Ilkhanipours einziger Proviant am Wahlstand. Das muss reichen.

Knapp fünf Monate Dauerwahlkampf stehen Ilkhanipour bevor. Bülent Ciflik, der Altonaer SPD-Kandidat, der im Bürgerschaftswahlkampf an fast jeder Haustür seines Wahlkreises klingelte, ist sein erklärtes Vorbild. Und sein politischer Ziehvater Johannes Kahrs, der es schaffe, im Wahlkampf „3.000 Plakate auf die Straße zu bringen“.

Soviel Material kann Ilkhanipour nicht finanzieren und das gilt es, mit persönlichem Einsatz wettzumachen. 80 Morgenröten – so lautet der Begriff für Flugblattverteil-Aktionen an S-Bahn-Stationen im morgendlichen Berufsverkehr – plant er und gleich noch 80 Abendröten dazu. Bis dann am 27. September abgerechnet wird – Bundestag oder Bewerbungsschreiben.