EINE FÖDERALISMUS-REFORM HABEN VIELE GEFORDERT. WENIGE WOLLEN SIE
: Sehnsucht nach dem Zentralstaat

Wenn es ernst wird mit den Reformen, dann will es mal wieder keiner gewesen sein. Das gilt auch für die geplante Reform des deutschen Föderalismus. Weniger Blockademacht im Bundesrat, dafür mehr Kompetenzen für die Länder selbst: „Entflechtung“ heißt dieses Prinzip im Jargon der Experten. Solange es bloße Theorie blieb, war es nirgendwo umstritten. Kaum zeichnet sich aber ab, auf welchen Feldern die neue Macht der Länder genau liegen soll, regt sich allerorten Protest.

Soll der Bund die Bildung gänzlich aus der Hand geben? Die Schulexperten protestieren. Muss der grüne Bundesminister Jürgen Trittin den Umweltschutz künftig seinen Kollegen in den Ländern überlassen? Die Fachverbände stöhnen auf. Sollen bald 16 Landesgesetze regeln, wie es in deutschen Gefängnissen zugeht? Bürgerrechtler gehen auf die Barrikaden. Um welches Thema es auch geht: Wer von der jeweiligen Sache auch nur ein Minimum versteht, der traut den Ländern meist nichts zu. Gerade auf ihren ureigenen Feldern haben sie eklatant versagt – das gilt vor allem für die Bildungspolitik. Obendrein sind nach der geltenden Finanzverfassung die Länderkassen noch viel leerer als Hans Eichels klammer Bundeshaushalt.

Ein Föderalismus, der seinen Namen auch verdient, hat hierzulande keine Tradition. Seit der Gründung des Bismarckreichs geht es beim deutschen Föderalismus hauptsächlich darum, geltungssüchtigen Provinzpotentaten eine Bühne zu verschaffen und, allenfalls, auch die Macht des Zentralstaats zu begrenzen. Keinesfalls aber ging es bislang um einen Wettbewerb der Einzelstaaten wie in der Schweiz oder den USA, wo der Zentrale in Bern oder Washington die Entscheidung über Steuersätze oder gar die Todesstrafe aus der Hand genommen ist.

In Wahrheit sehnen sich die Experten längst nach einer Stärkung des Zentralstaats. Weil die Länder der Reform aber zustimmen müssen und man den Föderalismus nicht kurzerhand abschaffen kann, lautet jetzt eines der wichtigsten Argumente: Lassen wir den Ländern doch wenigstens die Bildung, sonst haben sie ja gar nichts mehr. Der Sache freilich dient das nur bedingt.

RALPH BOLLMANN