: Bund, Land, Schluss
Die Chance auf eine grundlegende Föderalismusreform ist seit gestern vertan. Auf Jahre hinaus, glauben die Unterhändler
VON CHRISTIAN RATH
Die Föderalismusreform ist gescheitert. Zumindest vorerst. Gestern Morgen traten die beiden Kommissionsvorsitzenden Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) vor die Presse und verkündeten, dass sie keinen Vorschlag für die letzte Sitzung der Reformkommission vorlegen würden. Entscheidender Streitpunkt war die Frage, wie weit sich der Bund aus der Hochschulpolitik zurückziehen muss. An diesem Konflikt scheiterte nun vermutlich die ganze Reform. „Wir gehen davon aus, dass es zu keinem Ergebnis kommen kann“, sagte Müntefering. „Es wird in nächster Zeit wohl keine Grundgesetzänderungen geben“, kündigte Stoiber an.
Noch am Donnerstag waren fast alle Beobachter davon überzeugt, dass jetzt der point of no return erreicht ist, dass die Kommission so viel erreicht hat, dass sie an diesem Wochenende auf jeden Fall eine Reform verkünden kann. Die Zahl der Bundesgesetze, denen der Bundesrat zustimmen muss, sollte um ein Drittel reduziert werden. Dafür sollten die Länder neue Zuständigkeiten in der Gesetzgebung erhalten. Ein Jahr lang tagte die Föderalismuskommission, ihr Ziel war es, die deutsche Politik durch eine Entflechtung der Kompetenzen wieder handlungsfähiger zu machen. Der Kommission gehörten 16 Bundestagsabgeordnete und 16 Ländervertreter an, die Bundesregierung hatte in der Kommission kein Stimmrecht.
Die Wende kam am Donnerstagabend, als die beiden Vorsitzenden Müntefering und Stoiber letzte offene Fragen ausräumen wollten. Sie sprachen über die Verteilung der Kosten für europäische Sanktionen und über die Möglichkeit der Länder, von Umweltgesetzen des Bundes abzuweichen. Überall schienen Kompromisse möglich.
Als die Bildung zur Sprache kam, kippte die konstruktive Stimmung. Stoiber machte klar – deutlich wie nie zuvor –, dass die Länder den Bund aus diesem Bereich ganz herausdrängen wollten (siehe unten). Berlin solle sich in Hochschulfragen völlig aus der Gesetzgebung und der Finanzierung zurückziehen, sogar eine Koordination von Bund und Ländern sollte ausgeschlossen sein.
Diese Position hatte Stoiber von einem Treffen der Ministerpräsidenten am Tag zuvor mitbekommen. Verhandlungsspielraum gaben ihm seine Kollegen nicht. Im Gegenteil, die Länder stellten erstmals ein Junktim zwischen der Entflechtung im Hochschulbereich und der Gesamtreform auf. Im Klartext hieß das: Sollte der Bund an diesem Punkt nicht auf ganzer Front nachgeben, war die bisherige Kommissionsarbeit umsonst.
Trotz dieser maximalen Drohkulisse bewegte sich auch Müntefering nicht mehr. Denn für den Bund ist die Bildungspolitik inzwischen eine Schlüsselfrage, die über den Erfolg Deutschlands als Wirtschaftsnation entscheidet. Ein völliger Rückzug war für den SPD-Chef und die Bundesregierung deshalb undenkbar.
Der gestrige Freitag stand dann im Zeichen von Schuldzuweisungen. „Das Verhalten der Länder ist ein machtpolitisches Vorgehen, das angesichts der Probleme Deutschlands nicht klug ist“, kritisierte Müntefering. Auf Länderseite wurde der schwarze Peter sofort zurückgegeben. Angeblich habe Müntefering versucht, Zugeständnisse an die Länder noch einmal nachzuverhandeln. „Da ist eindeutig im Kanzleramt die Notbremse gezogen worden“, sagte der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU).
Trotz der bitteren Töne hofften Optimisten bis zum Nachmittag auf eine Einigung in letzter Sekunde. Um 14.30 Uhr, also eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn, trafen Stoiber und Müntefering noch einmal zusammen. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt hielt den morgendlichen Auftritt der beiden Kommissionsvorsitzenden sogar für eine Inszenierung.
Doch er hatte sich getäuscht. Obwohl am Morgen die Fraktionen berieten und am Mittag die Ministerpräsidenten, Stoiber und Müntefering schafften keinen Durchbruch mehr. Kurz vor 16 Uhr kam Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aus dem Konferenzsaal und sagte: „Wir haben eine einmalige Chance vertan. Eine grundlegende Reform des Föderalismus ist nun wohl einige Jahre lang nicht mehr möglich.“
Vielleicht sieht dies aber auch wieder anders aus, wenn die erste Enttäuschung verklungen ist. Zumindest einige der Verhandlungsergebnisse, etwa die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes, werden ohnehin die politische Agenda der kommenden Monate bestimmen.