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Archiv-Artikel

Faszination G.

Horst Königsteins Kammerspiel „Propaganda“ seziert Joseph Goebbels’ Erbe und dessen Einfluss auf die heutige Medienwelt (22.30 Uhr, NDR)

VON STEFFEN GRIMBERG

Harm Weber ist TV-Produzent, ach was, Medienmogul. Der erfolgreichste und wichtigste Mann im deutschen Fernsehen. Geliebt wohl weniger, gefürchtet schon eher, von vielen gleichzeitig ver- und geachtet. Es ist der 1. Mai 1995, und Weber hat sechs Menschen in eines seiner TV-Studios eingeladen: Leitende Mitarbeiter der Firma, alte Weggefährten, den Hauptkonkurrenten.

Er will ihnen das Geheimnis seines Erfolges, seines Lebens offenbaren, doch zunächst entführt er seine Gäste in ein klaustrophobisches Kammerspiel: Im kahlen Studio sitzen die sechs an einer langen, leeren Tafel in der Falle. Alle Ausgänge sind verschlossen. Der Gastgeber lässt auf sich warten. Der Prozess der Selbstzerfleischung seiner Gäste beginnt. Doch schließlich tritt Harm (Dietrich Mattausch) selbst auf, „spielen“ will er mit den anderen, wie er Zeit seines Lebens mit Menschen gespielt hat. Nach den Regeln, die er von seinem übergroßen Vorbild übernahm. Von Joseph Goebbels.

Den, suggeriert Horst Königsteins „Propaganda“, hat Weber selbst als junger Soldat am 1. Mai 1945 auf Goebbels’ Befehl hin erschossen. Und später, in russischer Kriegsgefangenschaft, ein erstes Blatt aus Goebbels’ Tagebüchern gegen Zigaretten eingetauscht, um endlich wieder etwas in seiner Muttersprache lesen zu können. Goebbels wird Webers Leidenschaft, er will „das Erbe dieses Mannes retten“. Über die Jahre trägt er Tagebücher und andere Goebbels-Devotionalien zusammen. Und lernt: Skrupellos und von nichts getragen als grundsätzlicher Verachtung für die Welt, gelangt Harm Weber zu Macht und Einfluss.

„Propaganda“ ist pures Kammerspiel und zeigt, wie wirkungsmächtig Theater auch im Fernsehen sein kann. Königsteins Figuren sind nicht nur gekonnte Montagen real existierender Branchencharaktere, sondern gleichzeitig hoch symbolisch auf-, manchmal aber auch überladen: Buddy Elias als „Der alte Jude“ und einstige Weber-Anwalt, der am Ende geopfert wird. Oder Esther Hausmann, „Die intrigante Frau“: Sie war einst seine Geliebte, ist nun eine Verstoßene und zieht die Parallele zu Goebbels’ Verhältnis mit der tschechischen Schauspielerin Lida Baarova gleich selbst.

Trotz solch kleiner Schwächen nähert sich Königsteins Erkundung der Faszination Goebbels’, seinem Einfluss auf die heutige (Medien-)Welt in einem einzigen Fernsehspiel stärker als der Oktober gezeigte, biedere Doku-Dreiteiler der ARD. Und Goebbels hat Konjunktur, im kommenden Jahr wird Lutz Hachmeister mit seinem ausschließlich auf den Tagebüchern fußenden „Goebbels-Experiment“ eine weitere wichtige Facette zu einem schrecklichen Mythos hinzufügen.

„Goebbels’ Methoden sind im Kern wertfrei, effektiv und zeitlos. Sie verweisen heute wie damals auf ihren Anwender, sein Wesen, seine Sehnsüchte, seine Defizite. (…) Man hat die furchtbaren Methoden von ihrem furchtbaren Inhalt getrennt und benutzt sie jetzt, um das Melodram ebenso zu verkaufen wie ein politisches Programm – oder Seife“, heißt es im Programmheft. „Dass in dieser Gleichgültigkeit, in dieser Kommerzialisierung der Keim für einen neuen Faschismus liegt, eine Seelenverwandtschaft, das allein mag als Goebbels’ Triumph gelten.“

Königsteins Position wird so zugespitzt formuliert nicht jeden überzeugen. Seinen Harm Weber lässt er es im Film viel wirkungsvoller sagen: „Joseph Goebbels – ob ihr’s glaubt oder nicht: Ihr seid alle seine Schüler. Und erklärt mir jetzt bloß nicht, dass ihr euch deshalb für schlechte Menschen haltet.“