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Archiv-Artikel

KINDER UND BÄUME Wider die Ruhestörer

Sie müssen sich bei der Politik beschweren!

Kinder müssen sich bewegen, am besten an der frischen Luft. So steht es jedenfalls in allen Ratgeberbüchern und -heftchen. Von diesen sind die Berliner „Elternbriefe“, die Erziehenden in regelmäßigen Abständen und genau abgestimmt auf das Alter ihres Kindes zugesandt werden, noch die sympathischsten. Man lernt: Wer sich bewegt, verbrennt überflüssige Kalorien, spürt seinen Körper und sorgt nicht zuletzt für eine bessere Durchblutung des Gehirns.

Weil sich Kinder auf vollgekackten Gehwegen, überfüllten Spielplätzen und in vermüllten Parks nicht so richtig austoben können, zieht es viele Eltern an den vermeintlich idyllischen Stadtrand. Dort sitzen sie dann in ihren Gärten, die häufig nicht größer als ein Balkon sind, und wundern sich, dass es nicht einmal Spielplätze in Laufnähe gibt – weil die Lokalpolitiker davon ausgehen, dass jeder ohnehin einen Garten hat. Wie gut, wenn es hier und da noch eine Brache gibt; und wenn auf dieser eine junge, verwachsene Eiche steht, die sich wunderbar als Klettergerüst eignet, ist das Glück der Kleinen perfekt.

Allerdings zieht es auch Frührentner an den Stadtrand, die ihre Ruhe suchen. Von Ast zu Ast hangelnde Kinder, die einmal die Rente der heutigen Vorruheständler erarbeiten werden, machen aber mitunter Lärm – und stören. „Ihre Kinder dürfen hier nicht spielen“, sagte also kürzlich ein Anwohner der Eichenbrache zu den Eltern der Kletterer. „Wenn Sie einen Spielplatz brauchen, müssen Sie sich bei der Politik beschweren.“

Die kleinen Gören interessierte der Disput am Rande wenig, sie bestiegen an diesem und an den folgenden Tagen den Baum einfach weiter. Eines Tages aber war Schluss mit der Kletterei. Mehrere Meter den Stamm der Eiche hinauf waren alle Äste, auf denen man sich emporhangeln könnte, feinsäuberlich abgesägt. Von den Tätern fehlte jede Spur. RICHARD ROTHER