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Archiv-Artikel

Ein spielerischer Mix

THEATER IN KINSHASA Zwischen NGOs und Geheimdienst: In einem Hinterhof des Viertels Kintambo arbeitet das Tarmac des Auteurs und inszeniert sozialkritische Dramen

„Einige unserer Schauspieler neigten dazu, die Stücke stets nach ihren spontanen Gelüsten zu verändern“, sagt Noël

VON JOHANN TISCHEWSKI

Langsam füllt sich der kleine Hinterhof mit Menschen. Die Hühner werden vertrieben, das Licht gedimmt, das Tor geschlossen. Für einen Moment ist es absolut ruhig im Tarmac des Auteurs. Angespannt wartet das Publikum. Die Schauspieler treten auf die Bühne und nach kurzer Ansprache beginnt endlich das Stück: eine Adaption von Abbas Khiders „L’attentat“. Die Bühnenversion hält sich strikt an die literarische Vorlage.

Die Geschichte über eine islamische Attentäterin in Tel Aviv hat ohne jegliche Modifikation das Potenzial, hier im tiefen Afrika Anklang zu finden. Die Zuschauer schätzen das Stück als exotische Ablenkung der eigenen ganz anders strukturierten Probleme. Es wird von der Geräuschkulisse der Straße begleitet, der Musik vom Café nebenan, von der Kirche – ein paar Tieren und vor allem Kindern. Autos hört man nicht.

Nur mit Geländewagen

Die Hinterhöfe Kintambos sind praktisch nur mit dem Geländewagen zu erreichen. Das innerstädtische Viertel Kinshasas verfügt über kaum eine gepflasterte Straße. Auf manchen Pisten häuft sich der Müll, so dass ein Weiterkommen unmöglich ist. Gleichwohl gilt der Stadtteil als gute Wohngegend, was natürlich relativ zu verstehen ist. Immerhin wird Kintambo nicht wie regelmäßig vom Kongo überflutet.

Aber es ist eben nicht mehr Gombe – jenes Stadtzentrum Kinshasas, in dem die Ministerien liegen, die Weißen wohnen und in dem sich das kulturelle Leben der Hauptstadt in der Regel abspielt. Hier sitzen die großen NGOs, die kulturelle Veranstaltungen unterstützen, und hier wohnen die Menschen, die das Geld haben, sich den Luxus Kultur zu leisten. Fast alles, was in Kinshasa kulturell geht, ist von internationalen Organisationen nicht nur subventioniert, sondern auch initiiert. Umso erstaunlicher, dass sich die rund 20 Künstler um das Tarmac des Auteurs ohne jeglichen Einfluss von außen mit dem gemeinsamen Wunsch zusammenfanden, Theater zu machen – vorerst ohne jegliche Aussicht auf Profit. Die zwei, drei Theater, die es in Gombe gibt, sind ein wenig eingestaubt und für die meisten Kongolesen zu teuer.

Dennoch war dem Tarmac-Team von Anfang an klar, was sie unter Theater verstanden. „Beim Theater dürfen die Zuschauer nicht reinschreien. In dieser Hinsicht mussten wir unser Publikum erst erziehen“, erzählt Noël, einer der Initiatoren des Projekts. Auch die Tatsache, dass Stücke bei jeder Vorstellung reproduziert werden ohne Improvisation, musste in schwerer Arbeit durchgesetzt werden. „Einige unserer Schauspieler neigten dazu, die Stücke stets nach ihren spontanen Gelüsten zu verändern“, sagt Noël. Mit einer für den Kongo nahezu grotesken Disziplin üben Schauspieler und Publikum jetzt ihre jeweiligen Rollen aus. „Sie machen sogar die Handys aus“, erklärt Noël stolz. Die Stücke des Theaters sind meist der modernen europäischen, meist frankofonen Literatur entnommen – einer der Schauspieler hat einen guten Draht nach Europa – und widmen sich fast immer sozialkritischen Themen.

Draht nach Europa

Diese Tatsache machte sowohl die Mitarbeiter der NGOs in Gombe als auch den Geheimdienst aufmerksam. Die NGOs waren schneller. Bei fast jeder Vorstellung sah man mit der Zeit ein paar Weiße im Publikum. Bald flossen Gelder. Ganze Projekte wurden unterstützt. Tarmac des Auteurs expandierte und konnte einen zweiten Vorstellungsraum anmieten. All das schützte die Schauspieler vor den Übergriffen des Geheimdienstes, der normalerweise schnell dabei ist, sozialkritische Stimmen zu deckeln. „Die Beamten kommen zwar noch ab und an vorbei und stellen unangenehme Fragen zu einzelnen Stücken; aber im Großen und Ganzen lassen sie uns mittlerweile in Ruhe“, erzählt Noël.

So wurde Tarmac des Auteurs zum Anziehungspunkt für Künstler aus der ganzen Stadt. Neben Theaterleuten treffen sich hier Maler und Musiker. Oft werden die Stücke von Live-Bands begleitet. Berühmt ist das Haus auch für den spielerischen Mix von Französisch und dem kongolesischen Lingála, Sätze, die sich zweideutig verstehen lassen. Versteht man sie Französisch, fügen sie sich in den Kontext des Stückes, versteht man sie jedoch als Lingála, haben sie eine obskure Nebenbedeutung mit zusätzlichem Witz.

Zwei bis drei Dollar kostet der Eintritt. Das ist viel Geld in Kinshasa, trotzdem ist fast jede Vorstellung rappelvoll. Auf Nachfrage erklärt Noël jedoch, dass bei weitem nicht alle Eintritt zahlen. „Viele der Gäste kennen wir. An manchen Abenden haben wir weniger Zuschauer, die gezahlt haben, als solche, die nicht gezahlt haben.“

Die Vorstellungen enden immer mit einem tosenden Applaus, Pfiffen und Gebrüll. Wenn danach das Licht wieder angeht, fängt für viele der Abend jedoch erst richtig an. Publikum und Schauspieler vermischen sich. Es gibt Bier. Man spricht über das Stück. Offen tragen die Zuschauer ihre Kritik an die Schauspieler heran. Musik wird gespielt und an manchen Abenden verwandelt sich das Theater sogar in eine kleine Disco. In Kintambo gibt es sonst nicht viele Orte, wo man hingehen kann, wenn es dunkel ist.