: Muezzin ohne Minarett
Die Centrum-Moschee in St. Georg ist das älteste türkisch-islamische Gotteshaus in Hamburg. Täglich gehen Hunderte Muslime in der früheren Badeanstalt ein und aus. Gegenüber Besuchern zeigt sich die Moschee bewusst aufgeschlossen
Von Gernot Knödler
Die Centrum-Moschee in der Böckmannstraße ist ein gemütlicher Ort: Kein Altar, vor dem man sich verneigen könnte, keine Regeln, wie man sich zu bewegen hat und selbst die Kopfbedeckung, die viele zu Ehren des Propheten Mohammed im Betsaal tragen, ist fakultativ. In dem Saal im ersten Stock sitzen Männer mit angezogenen Beinen auf dem Teppichboden und unterhalten sich in gedämpftem Ton. Einer lehnt an einer Säule und lässt abwesenden Blickes eine Gebetskette durch seine Hand gleiten.
Der mehrere hundert Menschen fassende Raum ist mit blau gemusterten Fayencen und Koransprüchen gekachelt. „Wie in der Blauen Moschee in Istanbul“, schwärmt Yücel Yilmaz, der Schatzmeister des Moschee-Trägervereins. Der untersetzte Mittdreißiger lehnt an der Rückwand des Betsaals und erläutert das Geschehen. Der Boden vor ihm ist mit lauter kleinen, nach Mekka weisenden Gebetsteppichen gemustert, so dass sich die Menge der Gläubigen selbst organisieren kann. Vorne links steht eine niedrige Kanzel, vorne rechts eine steil aufsteigende Treppe mit einem Kämmerchen als Abschluss, von der am Freitag gepredigt wird. Dazwischen ist die Nische für den Vorbeter, den Imam, eingelassen.
Nachdem der Muezzin kurz vor 14 Uhr zum Nachmittagsgebet gerufen hat, gehen die Männer nach vorne, um zunächst im eigenen Rhythmus zu beten. Einer kommt zu spät und legt seinen Anorak an einer Säule ab. Erst zum Hauptgebet werfen sich die Männer im einheitlichen Takt Schulter an Schulter nieder, während der Vorbeter im blaugrauen Kaftan „Allah u akbar“ singt: „Gott ist groß.“ Der anschließenden Koran-Lesung lauschen sie wieder in bequemer Stellung. Manch einen treibt der Berufsalltag allerdings sofort aus dem Saal.
Das Publikum ist gemischt: hauptsächlich Türken, aber auch Araber und Afrikaner. Einige tragen Pullover und weite Hosen, andere kommen im Sakko oder modisch gekleidet etwa in Tarnhosen. Fünf Gebete täglich sind den Muslimen vorgeschrieben. Ihre Gebetszeiten richten sich nach dem Sonnenstand und sind entsprechend unterschiedlich gut besucht. Im Sommer früh um Viertel nach vier zur Moschee zu pilgern, ist nicht jedermanns Sache und tut auch nicht Not. Pflicht ist es allerdings, das Freitagsgebet im Gotteshaus zu verrichten.
Zur Orientierung gibt es kleine dicke Kalender, in denen für jeden Tag die Gebetszeiten für die wichtigsten deutschen Städte aufgeführt sind. Auf dem anderen Blatt steht jeweils ein kleiner Text etwa über Imam Ali oder Malcolm X. Auf die Zeiten muss jeder selbst achten, denn der Muezzin ruft nur im Inneren der Centrum-Moschee. Die Gemeinde habe sich gar nicht um eine Ruferlaubnis bemüht, sagt Yilmaz. Schließlich wohnten die meisten ihrer Mitglieder in Billstedt, Hamm, Horn und Mümmelmannsberg. Die beiden Minarette und die Kuppel auf dem Anbau zur ehemaligen Hammonia-Badeanstalt sind nur Fassade. „Die Moschee sollte von außen zu erkennen sein“, erklärt Yilmaz. Eine Brandmauer hat die Gemeinde mit dem riesigen Bild einer traditionellen Moschee bemalen lassen.
Doch die Centrum-Moschee ist mehr als „nur“ Gebetsstätte. Sie ist ein islamisch-türkisches Kulturzentrum, in dem reger Betrieb herrscht. Ständig klappt die große Schwingtür zur Böckmannstraße auf und zu. Weil Schulferien sind, kommen Kinder zum Islamunterricht. Männer besuchen die Kantine, gehen zum Friseur oder in den Buchladen im Erdgeschoss. Über die Weihnachtsfeiertage kommen besonders viele Menschen zum Beten, zu Vorträgen und Tagungen, weil sie einfach mehr Zeit dazu haben.
„Der Islam ist eine dynamische Religion“, sagt Mustafa Yoldaș, ein Arzt, der die Öffentlichkeitsarbeit übernommen hat. Er müsse so ausgelegt werden, dass er hierzulande lebbar sei. Aus seiner Sicht gibt es „keinen Widerspruch zwischen der geltenden Rechtsordnung und der Scharia“, dem islamischen Gesetz. Denn dieses garantiere die vier Grundrechte auf Leben, Besitz, Glaubensfreiheit und Würde. „Das Grundgesetz“, sagt Yoldaș, „ist eine Garantie für uns.“
In der Kantine, die nahtlos in eine Teestube und ein andalusisch dekoriertes Restaurant übergeht, sitzt keine einzige Frau. Es habe Überlegungen gegeben, das Restaurant Frauen und Familien zur Verfügung zu stellen, sagt Ahmet Yazici vom Vereinsvorstand. Die Frauen blieben aber lieber unter sich. Im ersten Stock gebe es Räume, die ihnen vorbehalten sind, darunter ein eigener Betsaal.
Einige der deutschsprachigen Bücher in der Buchhandlung befassen sich denn auch mit der Anwendung des Koran auf alle Lebenslagen – Titel wie „Verbotenes und Erlaubtes im Islam“ oder „Der deutsche Mufti“, wo Lehrmeinungen zu Tausenden von Stichtwörtern niedergelegt sind: von „Abbrennen“ mit Querverweis auf „Bienenhonig“ bis „Zypern“ mit Querverweis auf „Erweiterung des islamischen Reiches“. Zum Stichwort „Gleichberechtigung“ äußert der Mufti die Befürchtung, dass diese in eine Schlechterstellung der Männer umzuschlagen drohe. Bestseller sei der Koran, sagt der Buchhändler Hasan Özcelek.
Neben der spirituellen Literatur einschließlich islamischer Kinderbücher verkauft er türkische Bücher, Musikkassetten, Video-CDs und Parfüm. Oben im Regal liegt die Kopfbedeckung der Imame in Stapeln: ein Fez mit weißem Turban. Ein junger Mann mit langem Haar und schwarzer Lederjacke besieht sich die schweren silbernen Herrenringe unter Öczeleks gläserner Tresenplatte. „Was kosten die?“, will er wissen. „Acht Euro“, nuschelt der Händler.
Neben dem Eingang steht ein Körbchen mit eingeschweißten, fingerdicken Zweigen. Die faserigen Stäbchen heißen „Miswak“ und dienen der vom Koran empfohlenen Art des Zähneputzens. Daneben steht ein Korb mit Miswak-Mehl-Zahnpasta.
Ein eiliger Geselle betritt den Laden: „Wann ist das letzte Gebet?“, will er wissen. „18.30 Uhr“, antwortet der Buchhändler. Der Termin ist nach hinten verlegt worden, damit er sich nicht so sehr mit den Arbeitszeiten überschneidet. So ist bis zum Gebet noch etwas Zeit. Oben im ersten Stock ist nur ein Mann beim Verneigen zu sehen. Ein Älterer sitzt an der Wand neben der Gebetsnische. Seine Beine umschlingen einen Bücherständer mit einem Koran darauf, aus dem er sich halblaut vorsingt.