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Archiv-Artikel

Fantasie und Existenz

WELTTHEATER Robert Wagner inszeniert Dostojewskis Novelle „Der Traum eines lächerlichen Menschen“

Die Idee, das Scheinwerferlicht vor Vorstellungsbeginn erst einmal auf die Zuschauer zu richten, ist an sich nicht neu. Doch an diesem Abend im neuen Theatersaal des Eigenreich, der als ehemaliger Fabrikraum die menschliche Unbehaustheit perfekt reflektiert, und in Erwartung eines Stückes, das nach Dostojewki als „Traum eines Narren – Son smešnogo čeloveka“ angekündigt ist, kann man im Bann der künstlichen Sonne eine eigenartige Wahrnehmungsverschiebung erfahren. Alle Hereinkommenden erscheinen im Gegenlicht der Scheinwerfer nurmehr als von einer gleißenden Gloriole umgebene Schatten. Unsere Kozuschauer – reine Traumgestalten. Und wir selbst?

Die Erzählung „Traum eines lächerlichen Menschen“, zählt zu Dostojewskis Spätwerk, er schrieb sie 1877, vier Jahre vor seinem Tod. Existenzphilosophie trifft darin auf Fantastik. Der Erzähler erkennt keinen Sinn mehr in seinem Dasein und beschließt sich umzubringen, doch die Begegnung mit einem unglücklichen kleinen Mädchen, das ihn rührt, lässt ihn an seinem Entschluss zweifeln. Bevor er sich erschießen kann, schläft er ein und träumt. Durch das All getragen, landet er auf einem Planeten, auf dem glückliche Menschen leben, die weder Hass noch Leid kennen, beides aber durch ihn kennenlernen werden.

In der Inszenierung von Robert Wagner, der die Erzählung für diese Produktion auch neu übersetzt und eingerichtet hat, übernehmen vier Schauspieler, zwei Männer und zwei Frauen, die Erzählung. Die zweisprachige Ankündigung des Stücktitels ist ernst gemeint. Ilja Pletner spricht eindringlich den russischen Text, dessen deutsches Pendant auf die drei anderen Darsteller (Jana Pidrmanová, Antje Trautmann und Joachim Fuchs) verteilt wird. Die vier pflegen dabei eine ausgesprochen klare Diktion, die Dostojewskis Sprache zum Fest macht. Hölzerne Klappleitern dienen als die wichtigsten Requisiten und zugleich als Bühnenbild. Menschen können hinaufsteigen, sich darunterstellen oder sie als Sarg benutzen – jeder trägt sein eigenes existenzielles Leitergefängnis mit sich herum. Später werden Netze hinzukommen, Netze, die man umher- oder die man anderen überwerfen kann; sie können Verbindungen schaffen, aber auch trennen. Diese Basisrequisiten sind so genial einfach wie vieldeutig verwendbar. Das stete Bemühen um Vielfalt und szenischen Abwechslungsreichtum ist auffällig in dieser poetisch-erfinderischen Dostojewski-Auslegung, bewegt sich allerdings mitunter vielleicht ein wenig zu nah an der Grenze zur Beliebigkeit.

Dass der Text von mehreren Personen gemeinsam in zwei verschiedenen Sprachen gesprochen wird, wirkt nicht im Geringsten manieriert, sondern verleiht der Erzählung im Gegenteil eine zusätzliche Dimension. Es ist wohl die sehr eigene Dimension eines kleinen Welttheaters im Hinterhof. KATHARINA GRANZIN

Nächste Vorstellungen: 20., 21. und 24. 5., jeweils 20.30 Uhr