: „Irgendwann kriegen wir sie alle“
Martin Textor
Sein Vater hat 1968/69 zu Zeiten der Studentenbewegung das Diskussionskommando der Berliner Polizei geleitet. Er selbst ist seit 1980 Chef der Eliteeinheiten der Polizei: des Spezialeinsatzkommandos (SEK), des Präzisionsschützenkommandos (PSK), des Mobilen Einsatzkommandos (MEK), der Fahndungsgruppe und der verdeckten Ermittler. Von den Mitgliedern der Bewegung 2. Juni über Dagobert bis zum Entführer des BVG-Busses – Martin Textor (59) hat in 41 Dienstjahren unzählige Täter gejagt. Drei Menschen sind bei den Einsätzen in der Zeit seiner Verantwortung ums Leben gekommen. Ende März geht der Leitende Polizeidirektor in Ruhestand
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
taz: Herr Textor, kennen Sie Ganoven, denen Sie Respekt zollen würden?
Martin Textor: Respekt wäre zu viel gesagt. Meine professionellsten Gegner waren die Tunnelgangster der Commerzbank Schlachtensee. Ich erkenne an: Die hatten einen echten Plan. Die haben eher uns überrumpelt als wir die. Wir haben eine Bank gestürmt, die leer war.
Was gibt es noch für Tätertypen?
Der ängstlichste war Dagobert. Wenn der nur eine blasse Ahnung hatte, dass die Polizei in der Nähe sein könnte, hat er seine Arbeit sofort abgebrochen. Die Presse hat das so interpretiert: Dagobert hat die Polizei an der Nase herumgeführt. Dabei hat der einfach gekniffen.
Das hat Sie geärgert?
Natürlich. Wir sind fast ein Jahr lang nicht aus den Schuhen gekommen. Manchmal gab es zwei bis drei Geldübergaben pro Woche. Das bedeutete jedes Mal einen Großeinsatz der Berliner Polizei. Das war schon ätzend, weil die Spezialeinheiten Umwerfendes geleistet haben.
Einmal ist die Falle fast zugeschnappt.
Ja. Es war wieder mal eine Geldübergabe angesagt, und meine Leute vom MEK haben überlegt, wo die stattfinden könnte. Ein Zug, eine Eisenbahnbrücke könnte eine Rolle spielen. Wo gibt es in Berlin Stellen, wo man Geld aus dem Zug schmeißen kann, wo der Täter eine Chance hat, schnell wegzukommen? Wir haben 50 bis 60 Stellen gefunden und verpostet, wie man so schön sagt. Genau an einer der Stellen hat Dagobert wirklich den Funk ausgelöst. Er saß auf einem Fahrrad. Fast hatte ihn der MEK-Beamte runtergeschubst, aber irgendwie hat er es geschafft, draufzubleiben und abzuhauen.
In der Zeitung stand, der Beamte sei auf Hundekacke ausgerutscht.
Als ich mit ihm gesprochen habe, hat er nicht gestunken.
Haben Sie eigentlich immer alle bekommen?
Ja. Alle. Das wird auch in Zukunft so sein.
Was macht Sie so sicher?
Wir greifen nur zu, wenn das Risiko kalkulierbar ist. Wenn nicht, hat an dem Tag der Täter gewonnen. Aber damit hört die Polizeiarbeit doch nicht auf. Dann fangen alle anderen an: Spurensicherung, Fahndung. Irgendwann kriegen wir sie alle. Selbst die Tunnelgangster, die alle Spuren verwischt zu haben glaubten, sind daran gescheitert, dass wir einen viertel Quadratzentimeter großen Fingerabdruck gefunden haben.
Wo?
Wir wollen nicht alles verraten. Nur so viel: Der war an einer Stelle, wo ich niemals gesucht hätte.
Der Chef der Spezialeinheiten ist also kein Superhirn?
Stimmt. Unsere Arbeit ist Teamarbeit. Am Ende muss ich aber die Entscheidung treffen.
Warum sind Sie Polizist geworden?
Ich bin zur Polizei, weil mein Vater auch da war. Bei dem habe ich gesehen, man bringt so viel Geld nach Hause, dass die Familie vernünftig ernährt ist.
Ihr Vater, der Erste Polizeihauptkommissar Werner Textor, hat sich zu Zeiten der Studentenbewegung einen Namen gemacht, weil er als Einsatzleiter lieber mit Rudi Dutschke und den anderen argumentierte, als die Knüppel sprechen zu lassen. Hat Sie das beeinflusst?
Das beste Einsatzmittel ist das Wort. In der Frage war und bin ich mir mit meinem inzwischen 84-jährigen Vater einig. Oder, um mit Klaus Hübner zu sprechen: Jeder Einsatz des Schlagstocks ist eine Niederlage der Demokratie. Ich glaube, wenn Hübner 1969 nicht Polizeipräsident geworden wäre, hätte ich die Polizei wieder verlassen.
Was war so schlimm?
Als ich 1964 angefangen habe, war die Polizei immer noch absolut militärisch geprägt durch die Wehrmacht. Wir waren bei der Bereitschaftspolizei – einer Art Gegenpart zu den Betriebskampfgruppen im Osten – überwiegend mit Hoffegen und Autowaschen beschäftigt. Kontakte mit dem Bürger gab es so gut wie nicht.
Das hat sich in der APO-Zeit geändert?
Da war ich schon in der Ausbildung für den gehobenen Dienst. Auf Wunsch der Polizeiführung musste mein Kommissariatslehrgang ein halbes Jahr an der Pädagogischen Hochschule (PH) mitlaufen. Ich habe unheimlich viel von dem Gedankengut, das auf die Straße getragen wurde, mit nach Hause gebracht. Nach dem Motto: Die haben Recht mit dem, was die da wollen. Unser Lehrgang hatte in der Polizei den Spitznamen „rote Zelle“.
Wie weit ging Ihr Linkssein?
Aus damaliger Sicht waren wir eine rote Zelle. Heute würde man sagen, das ist ein konservativer Verein. Aber wir waren sehr aufmüpfig. Was die Studenten wollten, wollten wir auch: Weg mit dem alten Staub und Mief, eine moderne Polizeiausbildung, verstehen, warum man etwas macht. Ein paar von uns waren besonders radikal …
… Sie sprechen von sich?
Schon ein bisschen. Aber ich war immer gegen Gewalt, auch was Gewalt gegen Sachen betrifft. Später hieß es ja, auch Polizisten seien Sachen. Dazu kam, dass sich das Modebild änderte. Lange Haare waren modern. Polizisten durften aber keine haben. Viele meiner Kollegen haben sich abends, wenn sie ausgegangen sind, eine Langhaarperücke aufgesetzt, weil sie sonst bei den Mädels nicht angekommen wären.
Haben Sie auch Haschisch geraucht?
Nee. Eigentlich war ich stinkbürgerlich. Überhaupt stelle ich an mir fest: Je älter ich werde, desto wertebewusster werde ich.
Mitte der 70er-Jahre hat der SEK-Beamte Textor dann die Mitglieder der Bewegung 2. Juni gejagt.
Das war nach der Entführung des CDU-Politikers Lorenz und der Erschießung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann. Die ersten Festnahmen habe ich noch selbst mitgemacht, draußen in Tegel, in einer Garage.
Hatten Sie einen Tipp bekommen?
Wie Ermittlungen eben so laufen … Der Staatsschutz musste uns ganz schön motivieren. Wir haben monatelang in einem Abrisshaus gesessen und rund um die Uhr auf die Garage gestarrt. Alle Leute in der Gegend grüßten uns schon.
Was haben Sie in Bezug auf die Leute des 2. Juni empfunden?
Ich sage ganz ehrlich, das waren für mich Feinde. Ich bin selbst ein 68er. Aber das ging mir einfach zu weit. Das war ein Schritt ins Kriminelle, den ich nicht nachvollziehen konnte. Und da schließt sich der Kreis wieder: Als nach der Wiedervereinigung 1990 die Spezialeinheiten aus dem Osten zu uns kamen und um Aufnahme baten, habe ich gesagt: Nee.
Aus welchem Grund?
Die wussten mit Sicherheit, dass Inge Viett und andere, die wir gejagt haben, in der DDR beherbergt wurden. Mit solchen Leuten wollte ich nicht zusammenarbeiten.
Im Herbst 1987 sind Sie selbst ins Fadenkreuz geraten.
Ich kam aus dem Urlaub zurück. Kurz vorher hatte eine Demonstration gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf stattgefunden. Die Berliner Polizei hatte dorthin die so genannte EbLT entsandt, eine Spezialeinheit von zweifelhaftem Ruf, die mir nicht unterstand. Spezialeinheit, das kann nur Textor sein, haben sich gewisse Leute gedacht und mir in Rudow ein Kilogramm Sprengstoff, Marke Eigenlaborat, vor die Terrassentür gelegt. Bis nachts um halb eins habe ich im Wohnzimmer noch Fußball geguckt. Dann bin ich nach oben gegangen. Wenn ich dort noch gesessen hätte, würden wir jetzt nicht hier sitzen.
Die taz hat damals getitelt: Textors Hollywoodschaukel kaputt.
Die zynische Berichterstattung der taz nach dem Motto „Der arme Herr Textor kann nun nicht mehr in der Sonne sitzen“ hat mich ziemlich geärgert. Dazu kam, dass in dem Bekennerschreiben stand, das SEK habe in Wackersdorf geprügelt. Später wurde ein zweites Bekennerschreiben geschickt: Is egal, es hat den richtigen Bullen getroffen. Ich würde mich heute gern mal mit diesen Leuten unterhalten. Keine Angst, die Tat ist verjährt.
Hat sich die Einstellung zu Ihrer Arbeit im Laufe der Jahre geändert?
Meine Philosophie hat sich verändert und mit ihr die Einsatztaktik. Bei einer Geiselnahme steht das Opfer für mich viel mehr im Vordergrund als früher. Nach allen Geiselnahmen, wo es möglich war, habe ich mich später mit den Opfern getroffen. Angefangen mit den Geiseln aus der Commerzbank Schlachtensee bis zu denen aus dem entführten BVG-Doppeldecker Bus. In den Gesprächen habe ich gelernt, was es bedeutet, unverletzt aus so einem Einsatz herauszukommen und trotzdem schwer verletzt zu sein. Es war immer zu lange. Es war immer Horror. Sie hatten immer das Gefühl, die Polizei tut nichts. Der Busfahrer zum Bespiel kann bis heute seinem Beruf nicht nachgehen.
Was ist die Konsequenz?
Wir tun alles, um die Geiseln so schnell wie möglich zu befreien. Die Verhandler sprechen den Täter mit der Maßgabe an: Du hast keine Chance. Wenn er nicht aufgibt, muss er mit allem rechnen.
Auch damit, erschossen zu werden?
Ja. Klar ist, dass ich immer das mildeste Mittel wähle. Grundregel beim SEK ist, Festnahmen möglichst ohne Schusswaffeneinsatz durchzuführen.
Was ist für das SEK die Herausforderung der Zukunft?
Stellen Sie sich vor, der Geiselnehmer des BVG-Busses wäre ein islamistischer Selbstmordattentäter gewesen mit dem Ziel, den voll besetzen Bus an einem stark frequentierten Ort öffentlichkeitswirksam in die Luft zu sprengen. Mit welchem Auftrag schicken Sie dann Ihre Spezialeinheiten raus?
Die Antwort müssen Sie geben.
Nach der suche ich noch. Ein britischer Stadtkommandant hat mich mal gefragt, mit wie vielen Verlusten ich bei meinen Leuten rechnen würde, wenn wir ein entführtes Flugzeug stürmen. Ich habe geantwortet: Wenn ich von vornherein auch nur einen einzigen opfern würde, machen wir den Einsatz nicht. Künftig werden wir wohl mit einem anderen Grundverständnis herangehen müssen.
Ist durch Ihre Hand mal jemand zu Tode gekommen?
Nein. Ich habe auch niemanden körperlich verletzt. Ich bin selbst beschossen worden, habe aber nie selbst geschossen.
Wie viele Menschenleben haben Sie als SEK-Chef zu verantworten?
Drei Tote in 25 Jahren. Ein toter SEK-Beamter und zwei Täter, von denen in der Nachschau betrachtet keine Gefährdung ausging. Aber das weiß man nicht vorher. Das macht einem ziemlich zu schaffen.
Wie gehen Sie mit dem ganzen Druck um, der auf Ihnen lastet?
Nach einem Großeinsatz halte ich immer so lange durch, bis die Pressekonferenz vorbei ist. Meine Familie zu Hause erlebt mich anders. Das kostet jedes Mal ein Stückchen von der Seele. Ich heule auch.