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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE Vom Leistungsdruck zum Leidensdruck

Einfach entspannen, sich mal hängen lassen – beim Hexenschuss muss das erlaubt sein

Zong! Sie kennen das, was mir vergangenen Dienstag passierte. Iliosakralgelenk, unten an der Wirbelsäule, wo der Hintern anfängt. Hexenschuss. Da hilft nur: Hocker aufs Bett stellen, sich hinlegen, Beine hoch und rechtwinklig auf den Hocker platzieren. Entspannen!

„Auwei, der Rücken“, sagt meine Schulfreundin Gabriele, die gerade zu Besuch ist, „ja, das erwischt uns alle mal. Das Alter. Obwohl sich die Einstellung zum Alter ja gerade ändert, wenn man den Zeitungen so glauben darf. Die jungen Alten sind im Kommen.“ Ich ziehe den Hocker näher ran. Das mit den Alten, die angeblich im Kommen sind, fällt mir ja auch auf. Es ist wie früher mit der Sexwelle: Damals tauchten plötzlich in den Zeitschriften überall nur noch Halbnackte auf. Und heute: überall Geschichten über erotische, sportliche, intelligente Alte.

„Man merkt das in der Werbung“, plaudert Gabriele weiter, „da haben die Unternehmen begriffen, dass die Älteren jede Menge Kaufkraft haben.“ Kaufkraft. Ich benutze sowieso seit kurzem nur noch Nivea aus der blauen Blechdose. Ich sollte aufstehen. Der Trick mit dem Hocker funktioniert nicht ewig.

„Ich meine, auch die Lebensformen werden künftig garantiert mehr von Älteren geprägt“, Gabriele kommt in Schwung, „da entstehen ganz neue Gemeinschaftsformen, ganz neue Wohnstile.“ Sie hatte schon immer einen Hang zum Monolog. Ich bin inzwischen zur Tür gekrochen und habe mich mühsam an der Klinke hochgezogen. Jetzt ausstrecken auf den Fußballen, Finger oben auf der schmalen Leiste des Türstocks festkrallen. Ah! Das tut gut. Entlastung! Ich schaukele ein bisschen vor und zurück. Sportlich bin ich ja. Mir fällt ein, wie ich neulich erst wieder eine dieser Zeitungsbeilagen zur „Generation 50plus“ überflog, worin die Betreiber von Seniorenstiften für ihre halb leer stehenden teuren Gettos werben. Die Überschrift „Wellness statt Windeln“ gab mir den Rest.

„Wir haben doch ganz andere Möglichkeiten als unsere Eltern“, Gabriele ignoriert mein Stöhnen, „allein schon mit Fitnesstraining kann man viel machen gegen das Altern. Man darf sich nur nicht hängen lassen.“

Ich denke kurz über die verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks „sich hängen lassen“ nach, während ich am Türstock auf den Zehenspitzen vor- und zurückpendele. „Die Alterspanik hat doch nur damit zu tun, dass die Leute Angst haben, sie werden nicht mehr geliebt“, murmele ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Aber heute gibt es doch so viele Möglichkeiten, neue Partner zu finden“, Gabriele ist unerschütterlich, „die 50-jährigen Frauen sehen doch heute ganz anders aus als unsere Mütter, die haben doch viel mehr Erotik. Und zum Glück nehmen sich jetzt auch immer mehr Frauen jüngere Männer. Finde ich klasse.“ Gabriele hat ja Recht. Jüngere, knackige Typen. Aber ich bin zu verklemmt für so was. Meinen letzten Flirt hatte ich neulich im Yogazentrum, wo mich ein Grauhaariger bat, ihm doch die Kurszeiten auf dem Faltblatt vorzulesen, er habe „leider die Lesebrille zu Hause vergessen“. Die Begegnung mündete in ein Gespräch über die Illusionen des Himalaya-Trekking und den Sinn und Unsinn einer Mitgliedschaft in der Gesellschaft für bedrohte Völker. Schräger Typ, nett. Doch Gabriele kann ich das nicht erklären. Ich muss mich irgendwie zum Kleiderschrank bemühen. Dort, in der Schublade, liegt mein Heizkissen. Wärme soll ja gut tun bei Hexenschuss.

„Ist ja echt schlimm mit deinem Rücken“, Gabriele zeigt jetzt endlich Mitleid, „ich sag ja immer, das ist alles psycho, dieser Leistungsdruck. Da ist es schwer, sich abzugrenzen.“ Wie wahr! Ich schlurfe gebückt zum Kleiderschrank, falle vornüber auf die Knie und ziehe die unterste Schublade auf. Da! Das Heizkissen! Das ist die Lösung. „Generation 70minus“, rufe ich begeistert aus, „das ist meine“, passt sich an, stufenlos verstellbar. Kein weiterer Generationswechsel mehr nötig in meinen nächsten Jahrzehnten. Zum Teufel mit den komplizierten Kategorien! Wenn mein Rücken wieder in Ordnung ist, werde ich mir den Einfall patentieren lassen.

Fragen zum Heizkissen? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL