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Archiv-Artikel

SPD und Scherf haben sich wieder lieb

Mit einem ausgesuchten Vokabular der Harmonie legen SPD-Fraktion, Parteiführung und der Bürgermeister ihren Streit bei. Damit ist der Blick wieder frei für die Auseinandersetzung mit der CDU. Das Kanzlerbrief-Imageproblem wäre auch angegangen

Von sgi

Bremen taz ■ Die Partei ist wieder geeint. Nach der Aufregung um die Abrechnung von SPD-Fraktions- und Parteiführung mit der großen Koalition und ihrem Chef, Bürgermeister Henning Scherf, ist seit gestern Abend die Harmonie wiederhergestellt. „Wir sind uns einig“, erklärten da Henning Scherf, Fraktionschef Jens Böhrnsen und Parteichef Carsten Sieling in einer gemeinsamen Erklärung nach einem gemeinsamen Gespräch, „dass es nach zehn Jahren Sanierungspolitik an der Zeit ist, eine gründliche Zwischenbilanz der bisherigen Arbeit zu ziehen, da Bremen insgesamt vor neuen, großen Herausforderungen steht.“ Grundlage hierfür „ist der Koalitionsvertrag.“ Man sei sich weiterhin einig, erklären die drei Genossen weiter, „das Bündnis als Sanierungskoalition mit der CDU loyal in dieser Legislaturperiode fortzusetzen.“

Für die „anstehenden schwierigen Aufgaben“ gebe es eine „Gesamtverantwortung“ aller Beteiligten. Ein „lösungsorientierter Dialog“ sei zu führen über die Sanierungsbilanz und die „Verhandlungsergebnisse im Zusammenhang mit dem Kanzlerbrief.“ Man wolle „unsere zum Teil unterschiedlichen Auffassungen über die Fortsetzung des Sanierungskurses konstruktiv erörtern“ mit dem Ziel: „gemeinsam tragfähiger Verständigungen.“ Das Vokabular der Harmonie gipfelt in der alles tragenden „konstruktiven, vertrauensstiftenden, von wechselseitigem Respekt getragenen Atmosphäre“.

Damit ist beendet, was Parteileute zuvor zutiefst bedauert hatten: dass die allgemeine Aufmerksamkeit von der CDU und ihrem Umgang mit der Brechmittel-Affäre auf die internen Querelen der SPD gelenkt worden war.

Dennoch bleibt die Partei in Aufruhr. Sielings und Böhrnsens vorgestriger Auftritt contra Scherf findet einerseits Zustimmung in der Partei. Andererseits gibt es kritische Stimmen, die die Öffentlichkeit des Vorgangs wenig schätzen. Dazu sollen sowohl Abgeordnete der Bürgerschaft als auch Altbürgermeister Hans Koschnick zählen. Auch die Basis ist geteilter Meinung. Barbara Wulff, Vorsitzende der Gröpelinger Genossen, fand Böhrnsens und Sielings Aktion „etwas überraschend“, und genau das ist aus vielen anderen Ortsvereinen zu hören. In der Sache – Bilanz der Großen Koalition – tue Auseinandersetzung not, aber das öffentlich zu tun – „ob das nun so geschickt war, weiß ich nicht. Das hätte man vielleicht besser intern gemacht“. Ähnliches kommt aus dem Ortsverein Peterswerder-Steintor. „Der Schritt war überfällig“, sagt der dortige Vorsitzende Rolf Prigge zur Attacke auf die Koalition, „aber ich hätte mir eine stärkere Einbeziehung der Parteigliederungen gewünscht.“

Eine solche Haltung lässt die Parteiführung nicht gelten. Es habe genügend Gelegenheit gegeben, die Meinungsbildung in der Partei zu verfolgen und den aktuellen Stand zu kennen, sagt Carmen Emigholz, Vorsitzende der SPD Bremen-Stadt. „In der Großen Koalition ist Sand im Getriebe, da kann keiner drüber weggucken“, so Emigholz, aber: „Verträge sind einzuhalten“. Stattdessen gehe es um eine Neujustierung der Politik und „eine Öffnung der Partei für 2007 für andere Bündnisse.“

Und es geht, so ist zu hören, einmal mehr um die gut 500 Millionen aus dem Kanzlerbrief, die Bremen für seinen verfassungskonformen Haushalt braucht und über die sich Henning Scherf seit jeher ausschweigt. Wenn endlich klar ist, dass kein Geld von Berlin nach Bremen fließt, dann will sich die SPD davon nicht kalt erwischen und von der CDU vorführen lassen, sondern schon „Pflöcke eingeschlagen haben“, so ein Insider. Ein anderer Kenner der Partei sieht in diesen Tagen den Anfang vom Ende von Bürgermeister Henning Scherf. „Die Frage ist nur, wie viele Leichen am Wegesrand liegen werden.“ sgi