: Armstrong als Vorbild
Nach Überwindung seiner Krebskrankheit will der gebürtige Ukrainer und deutsche Handballnationalspieler Oleg Velyky endlich einen Titel gewinnen – möglichst schon bei dieser WM
AUS SOUSSE FRANK KETTERER
Oleg Velyky steht in den Katakomben des Salle Olympique in Sousse, und so richtig glücklich sieht er nicht aus. Die Wangen sind noch immer gerötet von den Anstrengungen des Spiels, aus den blonden Haare rinnen kleine Schweißperlen, immerhin die Augen funkeln trotz aller Erschöpfung hell und wach. Velyky und die deutsche Handball-Nationalmannschaft haben gerade ihr zweites Spiel bei dieser WM in Tunesien gewonnen, drei Treffer hat der 27-Jährige zum 30:23-Sieg über Brasilien beigetragen, aber genug ist ihm das nicht. „Das ist nicht das Spiel, das wir können“, sagt er mit jenem rollenden R, das typisch ist für Menschen, die aus der Ukraine kommen. Zu wenig souverän war ihm der Auftritt gegen die schwachen Brasilianer, zu schwankend die Leistung. „Wir suchen noch unsere Stärke“, fasst Velyky das Spiel schließlich zusammen – und auch über sich gießt er ein kleines Eimerchen Kritik. „Ich treffe Latte und Pfosten, aber die Bälle gehen einfach nicht rein. Ich weiß nicht, warum“, beurteilt Velyky das Wirken Velykys – und hat für sich selbst nur einen Rat parat: „Wenn man sich dadurch aus der Ruhe bringen lässt, ist man kein guter Spieler. Man muss immer weiterspielen, weiterfighten!“
Weitermachen, immer weitermachen – man kennt diesen Satz vom Fußball. Doch was sich wie eine billige Floskel des Torhüters Oliver Kahn anhört, ist bei Oleg Velyky eine wertvolle Weisheit, die ihn am Leben gehalten hat. Damals, als er den immer größer werdenden Fleck auf seiner Haut entdeckt hat, den die Ärzte kurz darauf als malignes Melanom diagnostizierten – als Hautkrebs. Am 7. September vor zwei Jahren war das, das Datum wird Velyky nicht vergessen. Es schien ihm an diesem Tag, als sei alles vorbei, der Handball, den er so sehr liebt, vielleicht das ganze Leben. „Doch diesen Gedanken habe ich sofort wieder weggeschmissen“, erzählt der Mann aus der Ukraine. Und er hat noch am gleichen Tag beschlossen zu kämpfen. Weiter, immer weiter! „Ich habe gelernt, nicht aufzugeben“, sagt der 27-Jährige. Wer nicht aufgibt, kann auch gewinnen, das ist nicht nur im Sport so, sondern im ganzen Leben. Oleg Velyky hat gewonnen, jedenfalls sagen das die Ärzte. Zwar dauert seine Therapie noch an, und noch setzt er sich dreimal pro Woche gegen die Krankheit selbst eine Spritze, nach der er sich eine Stunde später noch immer etwas schummrig fühlt, auch hier in Tunesien; aber die Ärzte gehen davon aus, dass sich all das gelohnt hat und Velyky vollständig genesen wird.
Ein bisschen kann man die Geschichte von Oleg Velyky mit der von Lance Armstrong vergleichen, dem Radfahrer aus Amerika. Auch Armstrong war an Krebs erkrankt, auch Armstrong hat ihn besiegt. Und auch er hat seinen Sport weitergemacht und war danach besser denn je. „Lance ist ein großes Vorbild für mich“, sagt Oleg Velyky, und damit meint er auch all die Tour-de-France-Siege von Armstrong. Im Prinzip kann man sogar sagen, dass der Ukrainer Velyky in erster Linie deshalb Deutscher geworden ist: um mit der deutschen Mannschaft zu gewinnen. „Ich spiele schon so lange Handball, aber ich habe noch keinen Titel“, sagt der 27-Jährige. Genau davon aber träumt er. Mit der Ukraine hätte er sich seinen Traum wohl nie erfüllen können.
Nun scheint es andererseits auch nicht der beste Zeitpunkt, ein deutscher Handballer zu werden. Das deutsche Team ist im Umbruch, und auch wenn es die ersten beiden WM-Partien gewonnen hat, so hat man in den Spielen doch leicht sehen können, dass es bei dieser WM ziemlich sicher nichts werden wird mit einer Medaille. Davor wiederum, also vor Olympia, hatte ihm die Mannschaft eine Absage erteilt. Deutschland war schließlich gerade Europameister geworden – und somit schien kein Bedarf an dem Mann aus der Ukraine, der seit 2001 für TuSEM Essen spielt. Manche sagen, es habe eine prinzipielle Abneigung im deutschen Team vorgeherrscht, weil Velyky kein gebürtiger Deutscher ist.
Die Zeiten haben sich geändert, die deutsche Mannschaft kann Velyky, der schon bei der EM im Jahr 2000 Torschützenkönig war, nach all den Rücktritten und Verletzungen bestens gebrauchen, nach dem zusätzlichen Ausfall von Pascal Hens noch mehr denn je. Im Prinzip ist Velyky der derzeit kompletteste und reifste Spieler im Team, erst recht im Rückraum; vielleicht ist er momentan neben Rechtsaußen Florian Kehrmann sogar der einzige von Weltklasse. „Oleg kann Tore schießen, den Kreis anspielen, einfach alles“, lobt der nach Olympia zurückgetretene Christian Schwarzer aus der Ferne. Und auch der Bundestrainer hat Velyky zu einem seiner Schlüsselspieler beim Neuaufbau erklärt. „Ich weiß, was Oleg kann. Und ich weiß, dass er sehr wichtig für uns werden kann“, sagt Brand, auch wenn er einräumt: „Er hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Er reißt das Spiel noch nicht an sich, weil er neu in der Mannschaft ist.“
Auch Oleg Velyky hat gespürt, dass er der Mannschaft bei dieser WM bisher noch nicht die Hilfe war, die er ihr sicherlich sein kann. Er selbst ist am unglücklichsten darüber, und weiß doch schon, wie er es ändern kann: Er wird einfach weiterspielen, weitermachen, weiterkämpfen.