: Ein Haus für Mädchen
„Zwang wird es nicht geben“, sagen Harald Clemens und Bettina Witzke von der Rudolf-Ballin-Stiftung zum geplanten Mädchenheim im Allgäu
Interview: Kaija Kutter
taz: Wofür braucht Hamburg ein Mädchenheim im Allgäu?
Bettina Witzke: Es gibt ein Problem mit Mädchen, die am Scheideweg stehen, die in Gefahr sind, einen Weg in Richtung Drogenprostitution oder krimineller Entwicklung zu gehen. Hierfür fehlt ein Angebot. Deswegen bieten wir sehr gezielt eine Intensivbetreuung an. Es geht um Mädchen, die aufgrund von traumatischen Erfahrungen eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die in normalen Hilfen zur Erziehung schwer aufzufangen sind. Dabei ist unser Angebot kein Ersatz für sozialräumliche Angebote vor Ort, sondern eine Ergänzung.
Wie viele Mädchen kommen denn für das Allgäu in Frage?
Harald Clemens: Schwer zu schätzen. Wir haben aus dem Hamburger Raum eine Zahl von zehn bis zwölf vernommen. Maximal 16 bis 18.
Wie kam es zu der Entscheidung für dieses Heim?
Clemens: Die Behörde für Soziales und Familie ist auf uns zugekommen. Nachdem entschieden wurde, unser Haus im Allgäu nicht mehr für Kinderkuren bereit zu halten, fragte sie, ob wir im Rahmen der Hilfen zur Erziehung so etwas machen könnten.
In der Politik gibt es Streit, ob es richtig ist, Mädchen mit Zwang dort unterzubringen.
Clemens: Zwang wird es nicht geben. Es gibt aber sowas wie die elterliche Sorge, die hier durch die öffentliche Erziehung ergänzt wird. Auch in Familien muss das ein oder andere durchaus gegen ein Kind entschieden werden. Wobei das Kind immer altersgerecht in die Entscheidung mit einbezogen wird.
Witzke: Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, gibt es eine Verantwortung des Jugendamtes. Dieses muss unabhängig von uns eine Entscheidung treffen. Wir sind dann gegebenenfalls das passende Hilfeangebot. Wir werden mit dem Mädchen sprechen, um es für die Mitarbeit zu gewinnen.
Clemens: Damit wir Erfolg haben, muss auch die innere Bereitschaft vorhanden sein.
Die Mädchen können reiten und Tiere füttern...
Witzke: Es gibt heilpädagogische und therapeutische Angebote. Läuft ein Mädchen Gefahr, in das Drogen-Prostitutionsmilieu abzurutschen, dann hat es vorher sehr belastende Erfahrungen gemacht und braucht Hilfe.
Was tun Mädchen, die Heimweh haben? Im ersten Monat gibt es nur begleiteten Ausgang.
Witzke: Wir bieten im Allgäu bewusst eine milieuferne Unterbringung, weil dies Chancen bietet. Die Mädchen haben ein Umfeld, das äußerst gefährdend ist. Es ist für sie nicht leicht, sich davon zu distanzieren. Durch die Milieuferne ist auf einen Schlag die Szene weg. Das ist ein Wechsel der Perspektive, der eine Neuorientierung erleichtert. Natürlich werden sie dann Freunde und Angehörige vermissen. Es ist bewusst so gehalten, dass in diesen ersten vier Wochen kein Kontakt sein soll.
Da müssen sie Heimweh und Schmerz aushalten.
Witzke: Es wird nicht nur Heimweh und Schmerz sein. Sie bekommen ja auch gute Angebote und Kontakt.
Sie bieten eine 1-zu-1-Betreuung. Ist das durchkalkuliert?
Clemens: Ja. Die 1-zu-1-Betreuung heißt, dass für jedes Mädchen eine feste Ansprechperson immer auch da sein wird.
Zurück zum Heimweh. Darf das Mädchen denn später Freunde besuchen?
Witzke: Das Mädchen soll nach einem Jahr oder später ja nach Hamburg zurückkehren. Bis dahin müssen wir ein stabileres Umfeld suchen, damit es nicht wieder in die Szene zurückfällt. Deswegen schauen wir, welche positiven Kontakte es aus dem früheren Umfeld aus Hamburg gibt. In späteren Phasen darf das Mädchen in Begleitung anderer Mädchen und alleine die Einrichtung verlassen. Die Mädchen sollen so stabilisiert werden, dass sie selbständig nach außen gehen können.
Was passiert, wenn ein Mädchen nach Hamburg ausbüxt?
Witzke: Dann würde mit dem Jugendamt besprochen, wie es weitergeht. Für uns ist die Maßnahme damit nicht abgebrochen, die Mädchen können zurückkommen.
Wäre so ein Heim auch für Jungen sinnvoll?
Clemens: Wir sollten die Erfahrungen mit dem Hamburger Mädchenhaus abwarten.
Bei wem können sich die Mädchen eigentlich beschweren?
Witzke: Es gibt unter anderem einen Mädchenbeirat und das Jugendamt.
Was wünschen Sie sich von der Öffentlickeit?
Witzke: Ich wünsche mir, dass man uns eine Chance gibt. Es ist ein Angebot für Mädchen in Not, und nicht gegen sie.