: Eine einzige Aggression
In einem dramatischen Match wehrt Serena Williams gegen die Russin Maria Scharapowa drei Matchbälle ab und zieht ins Finale der Australian Open ein, wo sie auf Lindsay Davenport trifft
AUS MELBOURNE DORIS HENKEL
Vor ein paar Tagen hatte Serena Williams bei der Pressekonferenz noch nicht ganz auf dem Podium Platz genommen, als sie die erste Frage wie einen Pfeil auf sich zukommen sah. „Es herrscht allgemein die Meinung, die Williams’ seien auf dem absteigenden Ast; Venus hat schon verloren. Haben Sie das Gefühl, dieses Turnier gewinnen zu müssen, um das Gerede zu stoppen?“ Sie schnappte den Pfeil, drehte ihn um und schoss ihn zurück. „Ich mag diese Ausdrücke nicht, aber ich bin es leid, nichts dazu zu sagen. Wir trainieren hart. Wir hatten ernste Verletzungen. Ich hatte eine Operation. Und nach der Operation bin ich ins Finale von Wimbledon gekommen. Ich kenne nicht allzu viele Leute, die das geschafft hätten.“ Der von sichtlicher Empörung getragene Vortrag dauerte eine kleine Weile, sie erwähnte darin auch die schwere Zeit für die Familie nach dem Mord an der älteren Schwester Yetunde, und dann schloss sie mit der gewünschten Antwort: „Nein, wir sind nicht auf dem absteigenden Ast. Wir sind da. Und ich muss dieses Turnier nicht gewinnen, um auch nur das Geringste zu beweisen.“
Müssen muss sie nicht, aber die Wahrscheinlichkeit ist seit Donnerstag deutlich gestiegen. Williams wehrte beim Sieg im Halbfinale gegen Maria Scharapowa (2:6, 7:5, 8:6) drei Matchbälle ab, stemmte sich mit der ganzen Kraft ihrer Muskeln und ihres Mutes gegen die nahe Niederlage, und in dieser Verfassung ist sie klare Favoritin für das Finale am Samstag (03.30 Uhr MEZ) gegen Lindsay Davenport. Denn die konnte von Glück sagen, nach einem Schlingerkurs durchs zweite Halbfinale mit fast einem Dutzend Doppelfehlern gegen die Französin Nathalie Dechy gewonnen zu haben (2:6, 7:6, 6:4).
Vielleicht war Maria Scharapowa genau die Richtige, um Serena Williams bei der Pflege alter Werte behilflich zu sein. Da war zum einen die schmerzhafte Erinnerung an das Finale von Wimbledon 2004, in dem sie nahezu hilflos gewirkt hatte im Vergleich mit Scharapowas feuriger Konsequenz. Und auch diesmal sah es am Anfang so aus, als kämpfe sie nicht mehr mit denselben Waffen. Scharapowa bediente sich des ganzen Arsenals: drosch die Bälle hammerhart übers Netz, schickte eiskalte Blicke hinterher, zeigte immer wieder die Faust und füllte die Arena mit Geschrei. Schrill, schriller, zum Fürchten laut. Alles in allem eine einzige Aggression.
Und offenbar genau die richtige Motivation, um Williams auf Touren zu bringen. Je länger die Partie dauerte, desto mehr war sie wieder sie selbst. Mit Blicken und einer Körpersprache, die spätestens mit Beginn des dritten Satzes nur eine einzige Botschaft hatten: Hier steh ich, Schätzchen, und an mir kommst du nicht schon wieder vorbei.
Aber wenn es eine gibt, die dieses Spiel der Schläge, unmissverständlichen Botschaften und drohenden Gesten genauso beherrscht, dann ist das Scharapowa. So hat sie vergangenes Jahr mit 17 den Titel in Wimbledon gewonnen, und so fehlte ihr diesmal nur noch ein einziger Punkt zum Sieg. Doch ein Fehler beim ersten Matchball beim Stand von 5:3, ein strammer Return von Williams beim zweiten und deren listiger Ball in den Rücken gespielt beim dritten – das war’s. Williams dachte ans Halbfinale gegen die Belgierin Kim Clijsters vor zwei Jahren, das sie auf ähnliche Art gewonnen hatte, und meinte später beglückt, Siege nach Abwehr von Matchbällen seien doch die schönsten.
Sie selbst ließ sich beim Matchball nicht zweimal bitten, und der Rest war pure Befriedigung. Ausgedrückt in Freudensprüngen und als Botschaft in die Welt geschickt mit einem markerschütternden Schrei. Kein Zweifel, sie sah in diesem Sieg auch die Antwort auf die freche Frage nach dem absteigenden Ast. Maria Scharapowa, Wimbledons Prinzessin, verdrückte ein paar Tränen nach der Niederlage und beantwortete die Frage, ob Williams nun Favoritin auf den Titel sei: „Das ist mir egal. Ich bin jedenfalls nicht mehr dabei.“
Lindsay Davenport hat in Melbourne im Jahre 2000 gewonnen und war schon ein paarmal fast so weit, die Karriere zu beenden. Serena Williams siegte anno 2003 und sagt, mit diesem Spiel sei sie noch lange nicht durch – mögen auch noch so viele Pfeile auf sie gezielt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen