: „Wahlenthaltung ist der erste Schritt“
RECHTSEXTREMISMUS Schafft die Krise Raum für rechtes Gedankengut? Christoph Butterwegge über die Chance der Rechten, in der Krise Wähler zu gewinnen, und die Unsicherheit der Jüngeren
■ 58, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, Zuwanderung und Globalisierung.
Foto: Markus J. Feger
INTERVIEW NURIA GRIGORIADIS UND ANDREAS KENKE
taz: Herr Butterwegge, ist die Krise ein Motor für rechtes Gedankengut?
Christoph Butterwegge: Die aktuelle Wirtschaftskrise kann einen sozialökonomischen Nährboden für rassistisches Gedankengut und rechtsextreme Parteien bilden. Durch die Krise und ihre Auswirkungen werden viele Menschen verunsichert. Von der Enttäuschung über die demokratischen Parteien könnten Rechtsextreme bei Wahlen profitieren.
Und warum treiben die Menschen nach rechts?
Die Krise verführt zu einer Ellbogenmentalität. Menschen sind immer weniger bereit, sich gegenüber Leistungsschwächeren solidarisch zu verhalten und soziale Verantwortung zu übernehmen. Durch eine Regierungspolitik, die sich auf Banken konzentriert, aber nicht für sozial Bedürftige einsetzt, nimmt das Demokratievertrauen ab. Das soziale Klima wird rauer, weil sich die Verteilungskämpfe nach der Bundestagswahl am 27. September verschärfen dürften. Dadurch kann die Sehnsucht nach einem starken Führer entstehen. Vor allem junge Bürgerinnen lassen sich in dieser Zeit leichter von rechten Ideen begeistern.
Die NPD hat vor der Europawahl 2009 zum Boykott aufgerufen. Ist die geringe Wahlbeteiligung ein „Sieg“ für die NPD?
Wahlenthaltung ist der erste Schritt für die von den Etablierten enttäuschten Bürgerinnen. Dies kann leicht zu dem radikaleren Schritt führen, eine rechtsextreme Partei zu wählen. Insofern können sich die Rechtsextremen über die geringe Beteiligung freuen. In anderen europäischen Ländern zeigt sich die Enttäuschung der Menschen durch den Erfolg rechtspopulistischer Parteien bereits deutlicher. In Deutschland verhindern Union und SPD durch Maßnahmen wie das länger gezahlte Kurzarbeitergeld, dass sich die Krise vor der Wahl mit voller Wucht entfaltet.
Und wenn es dazu kommt?
Dann werden die Krisenlasten mittels einer „Agenda 2020“ der Mittelschicht und den Armen aufgeladen. Durch weiteren Sozialleistungsabbau dürften eher mehr Menschen als bisher in die Resignation und manche ins rechte Lager gedrängt werden. Ob die rechtsextremen Parteien ihre Chance zur Wählermobilisierung nutzen oder sich selbst zerfleischen wie seit geraumer Zeit die NPD, bleibt abzuwarten.
Ihre Einschätzungen zur Bundestagswahl 2009?
Noch starren die Menschen auf die Wirtschaftskrise wie das Kaninchen auf die Schlange. Sie setzen in einer Situation, die durch Unübersichtlichkeit und Unsicherheit geprägt ist, schlechten Gewissens auf das Bewährte. Deshalb werden sich die etablierten Parteien behaupten, und die große Koalition erfährt womöglich eine Fortsetzung beziehungsweise Neuauflage. Langfristig wird sich das Parteiensystem der Bundesrepublik stärker ausdifferenzieren.