: Lass mich deine Bratwurst sein
„Von Spandau geht die Emanzipationsbewegung der Kannibalen aus“: Rosa von Praunheim dreht zurzeit einen Film über den Rotenburger Kannibalenfall, der ein Psychogramm werden und „Mein Herz in deinem Hirn“ heißen soll. Ein Besuch am Drehort
VON DETLEF KUHLBRODT
Es ist ziemlich weit draußen und noch früh am Morgen. Das Haus liegt in der Nebenstraße einer Nebenstraße, in einer Spandauer Gegend, die kleinstädtisch und gefährlich wirkt. Die Reihenhäuser und Doppelhaushälften wirken verhalten böse. Diese spitzgiebeligen Häuser seien in den Dreißigerjahren für SS-Leute gebaut worden, sagt Markus, das Mädchen für alles in der neuen Rosa-von-Praunheim-Produktion. Der Berliner Regisseur dreht seinen Kannibalenfilm tatsächlich in der Nummer 13.
Als letzten Sommer bekannt wurde, dass von Praunheim den grausigen Rotenburger Kannibalenfall verfilmen wollte, waren viele empört. Harald Ermel, der Anwalt des „Kannibalen von Rotenburg“, warf dem Filmemacher „geschmacklose Wichtigtuerei“ vor und kritisierte die geplante Verfilmung des Lebens seines Mandanten heftig. Der wurde mittlerweile wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt, wobei eine Revision noch aussteht. Die Filmrechte wurden jedenfalls an das Medienunternehmen Stampfwerk GmbH verkauft. Die Firma, die bereits eine TV-Dokumentation über den Jahrestag des „Amoklaufs von Erfurt“ produziert hatte, plant eine wissenschaftlich begleitete TV-Dokumentation zu dem Fall. Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Axel Wintermeyer, verurteilte den Praunheim-Film schon im Voraus, protestierte dagegen, dass das Projekt mit 20.000 Euro durch die Filmstiftung des rot-grün regierten Landes Nordrhein-Westfalen gefördert werde, und versuchte vergeblich zu verhindern, dass die Perversitäten des Herrn Meiwes öffentlich „im wahrsten Sinne des Wortes medial ausgeschlachtet“ werden. Besonders pietätvoll war sein Wortspiel nicht. Wie auch immer.
Die Decken sind niedrig in diesem Spandauer Haus und im ersten Stock, noch niedriger, wo sich Medienvertreter verschiedener Presseorgane und die Leute vom Filmteam auf die Füße treten. Man raucht, trinkt Apfelsaft, isst Brötchen mit Wurst oder Käse und Müsliriegel, während der Regisseur beschwingt erzählt, als wäre das alles sehr lustig. „Von Spandau geht die Emanzipationsbewegung der Kannibalen aus“ – höhö.
Vor zwanzig Jahren habe er schon einmal mit Lotti Huber ein „Intelligenz ist essbar“ betiteltes Projekt gehabt, vor einigen Jahren sei sein Film „Can I be your Bratwurst please“ innerhalb der Renate-Ziegler-Erotik-Reihe ein großer Erfolg gewesen und auf 200 Festivals gezeigt worden. Und Regina Ziegler, die möglicherweise irgendwann in das Projekt einsteigen wird, sei der „Traum eines jeden Kannibalen“, weil sie ja so üppig sei, und als katholisch erzogener Mensch hätte er natürlich eine Beziehung zu dem Thema – und den Leib Christi schon des Öfteren gegessen. Und das sei alles auch deshalb interessant, weil Kannibalismus „immer noch ein Tabu“ sei. Kannibalismus sei weniger spektakulär, als man annehme. Es gebe schon Restaurants für Betuchte, die sich auf Menschenfleisch spezialisiert haben.
Rosa von Praunheims Kannibalenfilm trägt den Titel „Mein Herz in deinem Hirn“. Bei der Produktion habe er sich rechtlich beraten lassen, sagt er. Es sei ihm nicht darum gegangen, den Rotenburger Fall zu verfilmen. Vielmehr sei sein Film als Psychogramm angelegt, bei dem es darum gehe, „die szenischen Abgründe auszuloten“.
Alle Rollen des Films werden von zwei Schauspielern in Rollenspielen dargestellt. Wie oft in Praunheim-Filmen gibt es kein eigentliches Drehbuch, sondern ein paar vorgegebene Szenen, in denen die Schauspieler improvisieren. Es geht also um Achim, einen depressiven Lehrer, der sich gerade von seiner Frau Karin getrennt hat. Durch eine Computeranzeige lernt er Peter kennen. Gemeinsam entdecken sie in sich sadomasochistische Gefühle, die sie in verschiedenen Rollenspielen ausleben. Irgendwann spielen sie den Kannibalen von Rotenburg nach. In der Badewanne schneidet Achim Peter den Schwanz ab und tötet ihn. Das Fleisch in der Gefriertruhe erinnert an Peter, den Kopf vergräbt er in der Geräteecke seines Gartens. Achim wird Peter aber nicht los, im Keller, im Schlafzimmer, überall erscheint er ihm und ermuntert ihn, stolz auf seine Tat zu sein.
In dem Film ist der, der gegessen wird, die treibende Kraft. Auf die Verfilmung der schlimmsten Details des Falls wird verzichtet. Während in der Wirklichkeit das Opfer bei lebendigem Leib gefressen werden wollte und beide versuchten, den abgeschnittenen Schwanz des einen zu essen und es dann sein ließen, weil der ungenießbar war, soll der Film eher horrorkomödiantisch werden. Schwer sei es gewesen, die Schlachtszenen zu spielen, ohne dass es albern wirkt, sagen die Berliner Schauspieler Martin Molitor und Martin Ontrop – und dass sie viel dabei gelernt haben.
Dann dürfen wir noch beim Dreh einer Szene zugucken, in der Peter den schüchternen Lehrer Achim auffordert, doch endlich mal aus seiner gehemmten Spießigkeit herauszukommen und herauszufinden, was so ein schönes scharfes Beil alles kann … Der Film, der fast nur in diesem grusligen Haus spielt, wird vermutlich im nächsten Herbst in die Kinos kommen.