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Archiv-Artikel

Geisterhände an echten Türen

Mit „Ghost Machine“ hat das kanadische Künstlerpaar Janet Cardiff und George Bures Miller im HAU 1 einen Videorundgang eingerichtet, bei dem einem ständig Doppelgänger auf dem Bildschirm des Camcorders begegnen. Ziel der Verunsicherung ist es, Kino als Live-Aufführung zu inszenieren

Was immer der Film auch an Bildern aufgezeichnet haben mag, ist es nicht Vergangenheit im Moment der Projektion? Aufzeichnung und Projektion, Vergangenheit und Gegenwart geraten in ein irritierendes Verhältnis in der „Ghost Machine“ des kanadischen Künstlerpaares Janet Cardiff und George Bures Miller, die pünktlich zum Start der Berliner Filmfestspiele im HAU eine ganz eigene Art von Kino inszenieren. Das Haus wird bis in den hintersten Winkel zu einer „Ghost Machine“, einem Ort der Verwandlung in Geister: Denn ständig wechselt man zwischen dem Diesseits des Lebens und dem Jenseits der Kunst, überschreitet Grenzen von sonst klar getrennten Räumen. Was vor und hinter der Kamera passiert, was auf der Bühne und was im Publikum, durchdringt sich in Bild, Ton und Bewegung.

Der Besucher erhält eine kleine Videokamera in die Hand gedrückt, um damit durch die Foyers und über die Bühne, durch abgelegene Seitenräume und schmale Hintertreppen geführt zu werden – aber was er auf dem aufgeklappten Screen sieht und über die Kopfhörer hört, ist eine vorproduzierte Doppelung seiner unmittelbaren Erfahrung. So nimmt der Klang der Schritte einer Unbekannten auf einer schmalen Wendeltreppen aus Eisen das Klappern der eigenen Schuhe vorweg, und die Hand, die man gegen eine schwere Eisentür in den Kulissen drückt, ist schon zu sehen, bevor man sie noch ausgestreckt hat.

Fiktive Personen nisten sich dann auch noch in den eigenen Wahrnehmungen ein, laufen durchs Bild, erzählen Erinnerungen und verschwinden wieder in den Spalten der Architektur und den Lücken der Erzählung. Der Besucher wird so selbst zum Doppelgänger der Kunstfiguren, vom gefilmten Gegenüber auf der winzigen Leinwand in seiner Hand angesprochen wie ein Geist Verstorbener.

Die Kunstfiguren als Doppelgänger, die der Wirklichkeit des eigenen Lebens langsam den Boden unter den Füßen wegziehen: Das war vor allem in der Romantik ein literarischer Topos. In der „Ghost Machine“ von Cardiff und Miller kehrt diese Figur wieder, um unser Verhältnis zu Fotografie, Film und Theater in Frage zu stellen. Der ganze Körper wird hier einerseits in die Fiktionen und Identifikationen mit einbezogen, als ginge es um eine Perfektionierung der Illusion. Andererseits treten das Bild und die Realität so direkt als Konkurrenten auf, dass die Kunst einen unheimlichen und lebensbedrohlichen Aspekt gewinnt.

Damit setzen Cardiff und Miller unterschwellig ein Thema fort, das sie auch in ihrer letzten Ausstellung in Berlin, in der Galerie Barbara Weiss beschäftigt hat. Da sah man wunderbare Landschaften als verblasste Diaprojektionen, unsortierte Eindrücke einer Reise und hörte dazu im Off, wie ein Mann und eine Frau die Herkunft der Bilder diskutierten. Beiläufig schälte sich als mögliche Geschichte heraus, dass dies die Bilder der letzten Reise eines kranken Mannes waren.

Das Kino ist für die beiden Künstler schon lange ein Ort, der aus seiner Zentralperspektive erlöst werden muss. Sie untersuchen in ihren Installationen seine Voraussetzungen und ändern die Bedingungen des Erzählens, brechen die Linearität des Bilderstroms und die einseitige Gerichtetheit der Blicke auf. Es ist ein konzeptueller Ansatz, der jedes Werk als neue Versuchssituation erscheinen lässt: Was passiert bei diesem und jenem Eingriff in das Produktionsgefüge und das Rezeptionsverhalten? Darüber hinaus sind ihre Arbeiten emotional aufgeladen. „Ghost Machine“ allerdings scheint in der Form gelungener, denn in der Erzählung, die sich zwischen verschiedenen Figuren des Verschwindens verliert.

Es ist eine eigenartige Korrelation: Während das Theater zum Postdramatischen drängt und von der bildenden Kunst andere Zeitformen als die Linearität entleiht, zieht es die bildende Kunst zum Theatralischen und zur Aufführung. Der Video-Walk „Ghost Machine“ ist an einem Schnittpunkt beider Bewegungen entstanden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Ghost Machine“, im HAU 1, bis 20. Februar, 16.00–22.00 Uhr, Anmeldung 25 90 04 27