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Archiv-Artikel

Das Feuergefängnis von Dessau

Die Polizisten der sachsen-anhaltischen Stadt sperrten einen Afrikaner ein und der zündete seine Matratze an. Der Gefangene verbrannte und die Beamten sind laut Staatsanwaltschaft mitschuldig

AUS DESSAU MICHAEL BARTSCH

Am Tod des 21-jährigen Asylbewerbers Oury Jalloh aus Guinea-Bissau auf einem Dessauer Polizeirevier trägt die Polizei zumindest eine Mitschuld. „Es steht jetzt schon fest, dass es Fehler gegeben hat“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann gestern.

Bittmanns Mitarbeiter hatten gestern in Dessau einen Zeitplan vorgestellt und ein Video vorgeführt, das den Fall so genau wie möglich rekonstruiert. Eine abschließende strafrechtliche Bewertung nahm die Staatsanwaltschaft aber noch nicht vor. Ermittelt wird nun gegen den Dienstgruppenleiter wegen Verdacht der Körperverletzung mit Todesfolge und gegen zwei weitere Beamte wegen Verdacht der fahrlässigen Tötung. Die diensthabenden Polizisten waren bereits nach Bekanntwerden der Vorwürfe strafversetzt worden. Der leitende Polizeibeamte war bereits vor zwei Jahren mit einem Todesfall in Verbindung gebracht worden, als ein 36-Jähriger im gleichen Zellentrakt an inneren Verletzungen starb.

Der 21-jährige Oury Jalloh soll am Morgen des 7. Januar in Dessau in stark alkoholisiertem Zustand mehrere Frauen belästigt haben. Sie riefen daraufhin die Polizei. Bei der Festnahme soll es ein Handgemenge gegeben haben, und auch danach stufte die Polizei den Afrikaner als gewaltbereit ein. Wegen seines „unruhigen Verhaltens“ wurde er in fragwürdiger Weise an Händen und Füßen liegend auf eine Pritsche gefesselt. Dennoch soll es ihm in dieser Stellung gelungen sein, mit einem am Körper versteckten Feuerzeug die Matratze zu entzünden.

Die Rekonstrukteure des Falls haben dem Afrikaner eine noch dafür ausreichende Bewegungsfreiheit attestiert. Das Motiv dieser wahrscheinlichen Selbstentzündung ist den Ermittlern noch unklar, ebenso die Frage, ob Jalloh damit eine Lösung seiner Fesseln erreichen wollte. Bisher nicht geklärt ist auch, wie die feuerfeste Matratze in seiner Zelle überhaupt entflammen konnte. Ursprüngliche Gerüchte über weitere Tätlichkeiten in der Zelle und angebrochene Handgelenke des Opfers bestätigte der Obduktionsbericht nicht.

Nach der von der Staatsanwaltschaft veröffentlichten Chronologie wurde die Zelle zwar mehrfach kontrolliert. Etwa um die Mittagszeit 12 Uhr waren über die Wechselsprechanlage im Zimmer des Dienstgruppenleiters „plätschernde Geräusche“ zu hören. Auch der Rauchmelder schlug an. Wegen zahlreicher Fehlalarme in der Vergangenheit stellte sie der Dienstgruppenleiter jedoch ab.

Nach Angaben der Dessauer Polizeidirektion war dieser Defekt jedoch schon 2004 abgestellt worden. Die Anlage funktionierte ebenso wie ein Lüftungskontrollschalter einwandfrei. Das hätte den Polizisten bekannt sein müssen. Erst etwa fünf Minuten später unternahmen die Polizisten wegen verstärkter Geräusche der Wechselsprechanlage Rettungsversuche. Der Versuch, in die Zelle im Keller einzudringen, schlug jedoch wegen starker Rauchentwicklung fehl. Hilferufe des Opfers waren bereits verstummt, Oury Jalloh starb den Angaben zufolge an den Brandverletzungen. Die Feuerwehr konnte nur noch den Brand löschen.

„Jalloh könnte noch leben“, lautet das knappe Fazit von Matthias Gärtner, innenpolitischer Sprecher der PDS-Fraktion im Magdeburger Landtag. „Das hätte so nicht passieren dürfen!“ Die PDS hatte nach spärlich durchsickernden Informationen Ende Januar öffentlich Aufklärung gefordert. Auch der Innenausschuss des Landtages hatte sich dem angeschlossen und wird sich heute erneut mit dem Fall befassen. Erst dann könne man über politische Konsequenzen reden, so Gärtner.