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Archiv-Artikel

Grüne suchen eine neue Frau

Die langjährige Fraktionschefin der Grünen, Sibyll Klotz, will 2006 nicht wieder Spitzenkandidatin sein. Das Rennen um die Nachfolge ist eröffnet. Exkommissarin Michaele Schreyer im Gespräch

VON MATTHIAS LOHRE

Auf den ersten Blick hat sich Sibyll Klotz nur zu einem kleinen Schritt entschlossen: „Ich habe einzig und allein entschieden, nicht wieder Spitzenkandidatin zu werden“ (siehe Interview). Doch jetzt stellt sich die Frage der Nachfolge. Und die könnte zum Streit unter zwei prominenten Frauen der Grünen führen: Michaele Schreyer und Renate Künast.

Als am Dienstagabend die als sicher geltende Wiederwahl der grünen Fraktionsvorsitzenden anstand, da reckten sich nur 8 von 14 Armen für Sibyll Klotz. Die Abgeordneten schauten sich verwundert um. Die Gegenstimmen beim ersten Wahlgang waren die Antwort auf ihre Ankündigung, 2006 nicht mehr als Spitzenkandidaten anzutreten. Jeder der vier Neinsager und zwei Stimmenthalter wollte der beliebten Fraktionsvorsitzenden einen Schuss vor den Bug geben. Doch dass so viele ihrer Kollegen ähnlich dachten, überraschte alle. Auch Sibyll Klotz.

Die Wiederwahl der 43-Jährigen hatte als Selbstverständlichkeit gegolten. Beobachter hatten eher bezweifelt, dass ihr Vorstandskollege Volker Ratzmann gut abschneiden würde. Doch der glänzte mit 12 der 14 Stimmen im ersten Wahlgang, dem besten Ergebnis seiner drei Wahlen zum Fraktionschef. Nach einem zweiten Wahlgang konnte Klotz zwar das gleiche Abstimmungsergebnis für sich verbuchen. Doch die Probleme, die zum schlechten Wahlausgang führten, bleiben.

Die Verärgerung ist groß: Wer soll die Fraktion leiten, wenn die weithin akzeptierte Chefin im kommenden Jahr nicht mehr auf Platz eins der Landesliste steht? Und wie stark ist eine Fraktionsvorsitzende, deren Abgang beschlossene Sache ist? Der Landesvorsitzende Till Heyer-Stuffer möchte sich dazu nicht äußern: „Wichtig ist, dass wir eine Fraktionsvorsitzende haben, die diesen Job auch in der Vergangenheit gut gemacht hat.“

Hinter vorgehaltener Hand gehen einflussreiche Grüne davon aus, dass Klotz 2006 ein Bundestagsmandat anstrebt – und das nehmen sie ihrer Fraktionschefin übel. Seit 1991 sitzt Klotz im Abgeordnetenhaus, seit Jahren steht sie an der Spitze ihrer Fraktion. Parteiweit wird die gebürtige Berlinerin akzeptiert. Ihr Abgang auf Raten schmerzt eine Partei, die sich in den vergangenen Monaten auf Umfragewerten von bis zu 21 Prozent ausruhen konnte. Parteimitglieder kritisieren, dass es in den vergangenen Jahren keine „programmatische Neuausrichtung“ gegeben habe. Sprich: Welche Projekte wollen die Hauptstadt-Grünen in Zukunft angehen?

Jetzt stellt sich die Frage: Wer steht bei den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 ganz oben auf der Landesliste? Der Landesvorsitzende Till Heyer-Stuffer hält sich auch hier bedeckt: „Es gibt diverse Personen, über die wir aber nicht öffentlich sprechen.“ Schließlich werde die Landesliste erst in einem Jahr aufgestellt. Doch wer in die Partei hineinhört, bekommt schon jetzt einige Namen zu hören. Der bundesweit bekannteste ist Michaele Schreyer. Die heute 53-Jährige war 1989/90 in der ersten rot-grünen Koalition Senatorin für Stadtentwicklung. Danach kam sie ins Abgeordnetenhaus und wurde 1998 Fraktionschefin. Im Parlament machte sie als Haushaltsexpertin von sich reden. Im Jahr darauf benannte die rot-grüne Bundesregierung sie für einen EU-Kommissarposten. Schreyers Bekanntheitsgrad – ein Vorteil für die Berliner Grünen? Fraktionsvize Oliver Schruoffeneger sagt zu Schreyers möglichem Engagement sibyllinisch: „Wenn sie antreten will, ist das eine gute Idee.“

Parteimitglieder rechnen ihr jedoch keine großen Chancen auf einen der vorderen Listenplätze aus, da die Exkommissarin keine Hausmacht im Landesverband hinter sich habe. Die hat Bundesministerin Renate Künast. Und die „heimliche Landesvorsitzende“, so hört man aus der Bundespartei, würde kaum eine Spitzenkandidatin von ähnlichem Kaliber akzeptieren.

Das schlechte Abstimmungsergebnis für Sibyll Klotz hat genau das auf den Weg gebracht, was die Grünen vermeiden wollten: Der Abgeordnetenhaus-Wahlkampf ist eröffnet. Seine nächste Arena ist der Grünen-Landesparteitag am 26. Februar.