: Keine Alibis für den BVB
Borussia Dortmund geht bei den Bayern mit 0:5 ein. Spieler und Verantwortliche wollen die Finanzsituation nicht als Erklärung heranziehen. Statt dessen herrscht allgemeine Ratlosigkeit
AUS MÜNCHEN CLAUDIO CATUOGNO
Manchmal geschehen in einem Fußballspiel Dinge, die eine Botschaft vermitteln. In der 40. Minute zum Beispiel, im Gastspiel von Borussia Dortmund beim FC Bayern München. Markus Brzenska, Abwehrspieler der Dortmunder, will eigentlich einen Ball weg schlagen, doch dabei hampelt er so dilettantisch vor dem eigenen Strafraum herum, als habe man ihn nicht mit einem Fußball, sondern mit einer Tuba oder einem Zahnarztbesteck konfrontiert, jedenfalls mit einem völlig unbekannten Arbeitsgerät. Die Botschaft dieser Szene: Da ist einer so verunsichert, dass er nicht einmal mehr die Grundlagen seines Berufes beherrscht.
Oder schon vorher, in der 22. Minute. Florian Kringe bekommt einen Ball nicht unter Kontrolle und packt stattdessen wütend den vorbeilaufenden Willy Sagnol am Schlafittchen. Die Botschaft diesmal: Die Dortmunder haben sich vor lauter Frust nicht mehr unter Kontrolle. Das Spiel des BVB war voll solcher Botschaften. Und über all dem leuchtete hämisch die Anzeigetafel im Münchner Olympiastadion: FC Bayern – Borussia Dortmund: 5:0. Eine Demütigung.
Doch eigentlich hatte man das ja fast erwartet nach all den Dortmunder Hiobsbotschaften der vergangenen Woche. Musste es nicht zwangsläufig so kommen? Nach dem wirtschaftlichen Offenbarungseid jetzt also der sportliche? Man war sogar geneigt zu unterstellen, dass die Dortmunder Spieler 90 Minuten lang drüber nachdachten, wie es wohl mit dem Cash Flow weiter geht, und dabei vergaßen, erst einmal den Ball laufen zu lassen.
Das wäre aber eine zu einfache Erklärung. Denn man kann für die 0:5-Schlappe auch sportliche Gründe finden, und die Dortmunder gaben sich alle Mühe, das zu tun. Die drohende Insolvenz des Klubs dürfe „kein Alibi sein“, sagte Roman Weidenfeller. Christian Wörns fügte hinzu, dass BVB-Präsident Reinhard Rauball die Mannschaft am Freitag extra informiert und dabei „eigentlich eher Entwarnung“ gegeben habe. „Wir hätten also befreit aufspielen können“. Stattdessen erlebte Wörns die wohl schwächste Halbzeit seit Jahren.
Die sportlichen Gründe also: Die Bayern legten durch Treffer von Hasan Salihamidzic (1:0, 5. Minute) und Roy Makaay (2:0, 6.) einen Blitzstart hin, so war nach sechs Minuten eigentlich schon alles entschieden. Die restlichen 84 Minuten kombinierten sie locker wie in einem Trainingsspielchen, hatten mit Mehmet Scholl einen genialen Vorbereiter und mit Claudio Pizarro (3:0, 28.) und Makaay (4:0, 34.; 5:0, 54.) endlich wieder treffsichere Stürmer. Und die überrumpelten Dortmunder? Schauten fortan zu, als hätten sie Bleigewichte in den Schuhen.
„Es ehrt die Mannschaft, dass sie keine Alibis vorschiebt“, sagte Reinhard Rauball später in den Katakomben des Olympiastadions, und nach kurzer Zeit redeten alle Dortmunder nur noch davon, dass sie kein Alibi vorschieben wollten, synchron und einträchtig wie ein gelb-schwarzer Chor. Das war bereits die Marschrichtung für die kommenden Spiele, denn auch wenn die Insolvenz vorerst abgewendet scheint, wird die Finanzkrise den BVB noch eine Weile begleiten. Zwar hatten am Freitag zwei weitere Gläubiger dem Sanierungskonzept der BVB-Spitze zugestimmt. Unklarheit besteht aber noch beim Commerzbank-Fonds Molsiris, der erst seine 5.800 Zeichner befragen muss. Hier fällt eine Entscheidung im März. So lange herrscht Ungewissheit.
Noch so eine symbolische Szene: In der Halbzeitpause tobte auf den Rängen im Olympiastadion eine riesige, ausgelassene Schneeballschlacht. Ein paar Meter weiter, auf der Ehrentribüne, stand alleine Manager Michael Maier. Er wippte den Körper hin und her, schlug den Mantelkragen hoch und war in Gedanken sehr weit weg von diesem Moment. Die Botschaft diesmal: Über eine Schneeballschlacht schmunzeln kann wohl nur, wer sonst keine Sorgen hat.