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Archiv-Artikel

Sarrazin sehnt sich nach Preußen

Die Hauptstadtförderung wird überschätzt, sagt Finanzsenator Sarrazin. Die Schuldenmetropole hofft auf die Fusion mit Brandenburg – und blickt wehmütig auf ihre glorreiche Vergangenheit

VON MATTHIAS LOHRE

Thilo Sarrazin ist seinen Mitmenschen nicht als Überbringer froher Botschaften bekannt. Der SPD-Finanzsenator pflegt eher das Image eines zahlenfesten Realisten, der anderer Leute Hoffnungen als Hirngespinste entlarvt. Diesen Ruf möchte er nicht aufs Spiel setzen. Daher lautet seine jüngste Botschaft: Hofft nicht darauf, dass die Hauptstadtfinanzierung Berlin aus der Pleite rettet. Sarrazin setzt stattdessen auf positive Folgen der Länderfusion mit Brandenburg.

Nach Meinung des SPD-Mannes wird die Hauptstadtförderung in der Öffentlichkeit überschätzt. In diesem Jahr finanziert der Bund laut Finanzverwaltung „hauptstadtbedingte Ausgaben“ in Höhe von 63,1 Millionen Euro: für die Sicherheit und die Weiterentwicklung des Parlaments- und Regierungsviertels, den Hauptstadtkulturfonds und die Staatsoper. Hingegen lässt Sarrazin Solidarpakt-Zahlungen und Kulturausgaben des Bundes, etwa für den Martin-Gropius-Bau, nicht als „hauptstadtbedingt“ gelten. Den tatsächlichen Bundeszahlungen hält der Senat eine eigene Rechnung in Höhe von 140 Millionen Euro entgegen. Doch egal, wie man die Zahlen dreht und wendet: Sie bleiben unbedeutend angesichts eines Schuldenbergs von fast 60 Milliarden Euro.

Doch wie geriet Berlin überhaupt in die Schuldenfalle? Und hing die Stadt immer am Tropf des Staates? Darüber diskutierte der Finanzsenator am Dienstagabend mit Historikern im Roten Rathaus. Sarrazins Fazit: Die Spreemetropole hat sich seit Gründung der Bundesrepublik viel zu sehr auf Bundeszuschüsse verlassen. Mitte der 80er-Jahre stammte jede zweite Mark im Etat des „Schaufensters des Westens“ vom Bund. Auch der gewaltige Personalüberhang bei Verwaltung und Verkehrsbetrieben entstand in jener Zeit. Zwar ist der seit den 90er-Jahren geschrumpft, und die Streichung von weiteren 13.000 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2009 ist beschlossene Sache. Trotzdem betonte Sarrazin: „Auch danach ist ein Stellenabbau wohl noch nötig.“ Als weitere „Teilungs-/Vereinigungslasten“ im Westen Berlins betrachtet der Senat die Freie Universität, die Deutsche Oper und das Kulturforum; im Osten den Alexanderplatz, den Tierpark Friedrichsfelde und den öffentlichen Dienst.

Einfache Ursachen

Doch die Ursachen vieler Probleme, mit denen sich noch Generationen von Finanzsenatoren abmühen werden, liegen weiter zurück als die deutsche Teilung. Schon als Kapitale Preußens und des Deutschen Reichs profitierte Berlin von seiner Hauptstadtrolle. Repräsentative Bauten wie die Museumsinsel wurden stets vom Land Preußen bezahlt. Zum Berliner Haushalt gab Preußen zudem mehr als 60 Prozent dazu, etwa für das Regierungsviertel und dessen Schutz. „Es kann daher kein Zweifel bestehen: Berlin profitierte zwischen 1871 und 1945 in hohem Maße von der Hauptstadtfinanzierung“, urteilte der Historiker Harald Engler. Das Ende Preußens war deshalb „verheerend“ für Berlin.

Noch etwas unterscheidet das alte Berlin grundsätzlich von der heutigen Schuldenmetropole. Die Stadt war bis in den Zweiten Weltkrieg hinein eine boomende Wirtschafts- und Finanzmetropole, auch Siemens und die Deutsche Bank hatten hier ihren Sitz. Zwischen der Reichsgründung und 1939 explodierte die Einwohnerzahl der Stadt. Waren es im Jahr 1871 noch 900.000, wohnten 1939 mehr als 4 Millionen Menschen in Berlin. Bis heute hat die Stadt die Ausmaße einer Metropole, aber ihr fehlen wichtige Voraussetzungen einer wahren Weltstadt. Der Wirtschaftshistoriker Karl-Heinrich Kaufhold fasste es so zusammen: „Die Bankentürme stehen heute in Frankfurt und nicht in Berlin.“ Und: „Preußen fehlt“, also ein finanzstarkes Flächenland.

Sarrazin wird es gern gehört haben, hofft er doch auf Bundeshilfen und Synergieeffekte durch die Länderfusion mit Brandenburg. Am Ende rechnete er noch einmal vor, dass Berlin 200.000 neue Jobs brauche, um eine Arbeitslosenquote von rund 5 Prozent zu erreichen. Kleine Pause. „Das soll jetzt nicht entmutigen.“ Zum Überbringer froher Botschaften taugt Thilo Sarrazin wirklich nicht.