: Kleine Geschenke unter Freunden
NETZWERKE Die ARD hat einen Film über Lord George Weidenfeld gedreht, der im September neunzig wird. Warum versteckt sie ihn dann aber Mitte Juli am Sonntagsnachmittag?
■ George Weidenfeld: geboren 1919, vor den Nazis 1938 nach London geflohen, Mitarbeiter der BBC-Propaganda gegen Hitler, 1945 Gründung des Verlags Weidenfeld & Nicolson, 1948/1949 Berater und Kabinettschef bei Israels erstem Staatspräsidenten Chaim Weizmann, 1969 zum Ritter geschlagen, 1976 zum Lord geadelt, seit vielen Jahren Kolumnist der Welt und Welt am Sonntag.
■ Mathias Döpfner: geboren 1963, Musikwissenschaftler, Trainee bei Gruner + Jahr, später Chefredakteur bei Hamburger Morgenpost und der Wochenpost. 1998 als Chefredakteur der Welt zu Springer, seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG.
■ Der Film: „Mein Freund George Weidenfeld“, Sonntag, 14.30 Uhr, ARD – anlässlich des neunzigsten Geburtstags, der allerdings erst am 13. September ist.
VON STEFFEN GRIMBERG
Der Mann ist Journalist, Zionist, Transatlantiker alter Schule, Opernfan und vor allem – wichtig. Doch halt: Das gilt für beide, für den Filmemacher wie den Gefilmten, für Mathias Döpfner und Lord George Weidenfeld. Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG der eine, Verleger, Politikberater und großer Netzwerker vor und hinter den Kulissen der Macht der andere.
Döpfner hat seit drei Jahren an diesem Porträt gedreht, „naturgemäß nicht objektiv, sondern höchst subjektiv als Freund und Wegbegleiter“, wie er im selbst gesprochenen Kommentar sagt. Was Döpfner an Weidenfeld fasziniert, ist dessen Macht, sind die Kontakte – so viel jedenfalls suggeriert der Film, der mit Bildern aus der Wiener Hofburg startet. Weil Weidenfeld als echter Wiener natürlich auch Opernfan ist, darf erst einmal Stardirigent Daniel Barenboim loben: Der 1976 in den Adelsstand auf Lebenszeit Erhobene sei jemand, „der sich für alles interessiert“, sagt also Barenboim, „nichts auf der Welt ist ihm fremd.“
Gratulationsinferno
Das ist auch besser so, denn schlichteren Gemütern würde schwindlig werden bei dem dann folgenden Gratulationsinferno: Da sagt Helmut Kohl „George Weidenfeld ist ein nobler Mensch“, anschließend kommt – feine Ironie – Kohls nicht mehr ganz so guter Freund Wolfgang Schäuble, der den Lord zum „Synonym für europäische Geschichte“ erklärt, dann ist Otto Schily dran, Gerhard Schröder kommt später. Eine Art Straßenumfrage für politische Führungskräfte, nur an Guido Westerwelle hat natürlich wieder keiner gedacht.
Es folgen: Österreichs Bundespräsident mit artigen Sätzen vor Landesfahne, Israels Immer-mal-wieder-Premier Schimon Peres und wichtige US-Journalistinnen. Und wenn man denkt, jetzt waren wirklich alle, alle da, kommt natürlich Oberfeuilletonist Frank Schirrmacher mit noch höheren Weihen um die Ecke: „Für ihn gilt, was über Thomas Mann gesagt wurde“, sagt also der Herr von der FAZ: „Er ist ein Zauberer.“ Da ist der Film gerade zwei Minuten alt.
Immerhin, nun ist man bei George Weidenfeld angekommen. Und der Mensch Weidenfeld, sein Leben, ist faszinierend, Ehrfurcht gebietend, Widerspruch heischend, larger than life. Mathias Döpfners Film wird dem nicht gerecht, ist mehr „Debüt im Ersten“ als große Doku, und hemmungslos affirmativ.
Was Döpfner wirklich an Weidenfeld fasziniert, wird dabei allerdings sehr schnell klar: Der Lord, 1919 in Wien geboren, ist das wandelnde Springer-Essential. Wohl kaum jemand verkörpert die Grundsätze von Europas größtem Zeitungsverlag so perfekt in einer Person: Einigung der Völker Europas, Unterstützung der Lebensrechte Israels, Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus – all das ist und lebt Weidenfeld.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: All das sind höchst ehrenwerte Grundsätze, man mag geteilter Meinung sein, ob es etwas taugt, sie einem ganzen Medienkonzern vorzuschreiben. Doch was hat so eine Springer-Selbstdarstellung in der ARD zu suchen? Noch dazu um diese ungewöhnliche Sendezeit und zwei Monate zu früh – Lord Weidenfeld hat am 13. September Geburtstag.
Die Antwort könnte am Hamburger Rotherbaum zu finden sein, hier residiert der Norddeutsche Rundfunk. Das Projekt sei eine Idee der ARD gewesen, betont man bei Springer, der NDR, der „Mein Freund George Weidenfeld“ fürs Erste Programm produziert hat, sei „auf Dr. Döpfner zugekommen“. Genauer noch: Der Film entstand nach einem Anruf des damaligen NDR-Intendanten Jobst Plog.
All das begab sich gegen Ende von Plogs Amtszeit, die ARD stand wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk allgemein unter verschärfter Beobachtung der Verleger: Eine neue Rundfunkgebührenerhöhung dräute, dazu lief schon das Gezerre um ein neues Rundfunkgesetz, das die Grenzen für ARD, ZDF & Co. im Internet definieren sollte.
Achtung, Gebührendebatte!
„Gähn-TV! Politiker will Gebühren-Erhöhung stoppen“ hatte da gerade mal wieder Bild getitelt. „Verplempert der NDR unsere Rundfunkgebühren?“ Wie üblich ließ das Blatt wenig Zweifel aufkommen, wie die Antwort ausfallen würde. So was liest niemand gern im Intendantenzimmer. „Saustall ARD: Aber Gebühren erhöhen, das können sie“ – noch so eine Bild-Überschrift vom Sommer 2007 – schon gar nicht.
Könnte also neben all den anderen Argumenten wie dem, Döpfner habe als enger Freund einen ganz besonderen Zugang zum Lord, auch ganz praktische Erwägungen eine Rolle gespielt haben? Etwa in Richtung: Wenn der Springer-Chef als freier Autor für den NDR unterwegs ist, vom Intendanten höchstselbst bestimmt, dürfte sich doch auch die Springer-Presse inklusive ihres Flaggschiffs Bild ein bisschen am Riemen reißen?
Ab Oktober 2007 jedenfalls verschwand die ganz große Aufregung über die schlimmen Zustände beim NDR wie in der ARD oder beim ZDF aus den Bild-Titeln. Auch das ganze Jahr 2008 über, als die Medienpolitik Kopf stand und andere Blätter wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung geradezu talibanös gegen die Online-Pläne von ARD und ZDF zu Felde zogen, herrschte bei Springer auffällige Ruhe – sie hielt fast bis Jahresende an.
Doch auch wenn diese kleine Beobachtung ohne Belang sein sollte: Was ist zu halten vom Argument des zuständigen NDR-Redakteurs Thomas Schreiber, gerade durch Döpfners Freundschaft verspreche man sich Annäherungen an Weidenfeld, die anderen versagt blieben?
Im Film jedenfalls merkt man nicht allzu viel davon. Es bleibt bei kleinen, nicht uncharmanten Details: Weil der Lord und seine um einige Jahre jüngere Lady Annabell bei gesellschaftlichen Anlässen oft getrennt von einander sitzen müssen, kommunizieren sie per Zeichensprache, wie es ihnen gerade ergeht: Dezent mit dem Finger von unten an die Nase stupsen heißt: Wir unterhalten uns gut; mit dem Finger den Nasenrücken runterfahren bedeutet: Es ist stinklangweilig.
Cut und nächste Szene: Zum Geburtstag des Lords redet Helmut Kohl, und Angela Merkel sieht so aus, als würde sie gleich mit beiden Händen ihren Nasenrücken malträtieren. Das ist nicht ohne Ironie, doch wird auch in diesen Szenen neben dem Lord natürlich wieder Springer gefeiert: Lange Einstellungen zeigen den Geburtstagsempfang im Journalistenclub des Springer-Hochhauses, alle sind da, Weidenfeld sitzt zwischen Verlagserbin Friede Springer und der Kanzlerin. Doch über den Ort des Geschehens, warum hier wer dem Lord die Party schmeißt, verliert der Film kein Wort.
Vollmundig angekündigt war „Mein Freund George Weidenfeld“ schon fürs Programmjahr 2008. Doch dann wurden Nachdrehs fällig, im Frühjahr 2009 raunte es im NDR, mit dem Sendeplatz im Ersten würde es wohl nichts. Nun läuft der Film sonntags zum Mittagsschläfchen – ein fauler Kompromiss. Der Lord hat Besseres verdient.