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Archiv-Artikel

Der Kirche gehen die Mäuse aus

Mitgliederschwund und sinkende Einnahmen: Die Kirchen Berlins und Brandenburgs befinden sich in einer finanziell dramatischen Situation. Die Folgen sind ein strikter Sparkurs und Personalabbau

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Einstürzende Altbauten, Priestermangel und leere Kirchenbänke: Berlins und Brandenburgs Kirchengemeinden befinden sich in einer finanziell dramatischen Situation – und das schon seit Jahren, ohne Hoffnung auf Besserung. Der evangelischen Kirche sind laut Statistischem Landesamt seit 1995 etwa 21 Prozent der Gemeindemitglieder abhanden gekommen. Die Mitgliederzahl sank demnach von 950.268 auf rund 750 000. Bei den ohnehin zahlenmäßig schwächeren Katholiken in Berlin ging die Zahl innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 341.193 auf jetzt 307.000 zurück, ein Rückgang von rund 10 Prozent. Bis 2030 rechnen beide große Kirchen sogar mit rund einem Drittel weniger Mitglieder.

Das hat Folgen: Weniger Kirchensteuer, zum Beispiel. In Berlin beträgt sie 9 Prozent der Lohn- und Einkommensteuer. Jedes Kirchenmitglied zahlt hier im Schnitt rund 155 Euro pro Jahr an Mitgliedsbeitrag. Hat das Erzbistum Berlin im Jahr 2000 noch rund 59,5 Millionen Euro an Kirchensteuern eingenommen, so dürfen die Katholiken in diesem Jahr nur noch mit 50 Millionen Euro rechnen – ein Rückgang um 17 Prozent. Sparsam geht es auch bei den Protestanten zu: 1994 überwies das Finanzamt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg noch 215,77 Millionen Euro Kirchensteuern. Für dieses Jahr werden nur noch 128,3 Millionen Euro erwartet, ein Verlust von rund 40 Prozent innerhalb eines Jahrzehnts. Die Schuld an der Finanzkrise tragen neben Austritten auch die Steuerreform, die hohe Arbeitslosenrate und die demografische Entwicklung.

Nur ein sehr weltlicher Sparkurs konnte das Erzbistum vor der faktischen Pleite retten: Trotz schrumpfender Kirchensteuereinnahmen müssen für 2005 laut Haushaltsplan keine Kredite aufgenommen werden, erklärte Generalvikar Ronald Rother, der Finanzchef der Diözese. Allerdings müssen die 307.000 Katholiken Berlins in den kommenden Jahren zusätzlich 10 Millionen Euro einsparen. 299 Vollzeitstellen wurden bereits abgebaut, insgesamt sollen es 417 werden. Das Bistum rechnet mit einem weiteren Minus der Einnahmen, verschärft durch den Bevölkerungsrückgang und die altersbedingte Steuerbefreiung zahlreicher Mitglieder.

Im Jahr 2005, in dem das Bistum sein 75. Jubiläum feiert, endet zudem die Solidaraktion der Mitarbeiter: Sie hatten auf Gehaltserhöhungen und teilweise auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichtet. Außerdem sollen in beiden Kirchen in Zukunft die Laienchristen mehr Aufgaben übernehmen.

Darunter leidet schon mal die eigentliche „Arbeit“ der Kirchen: So rief die Berlin-Brandenburger Diakoniechefin Susanne Kahl-Passoth die Kirchengemeinden auf, sich wieder stärker der Diakonie zuzuwenden. Kirchen und Gemeinden hätten soziale Probleme, Beratung und Pflege weitgehend an professionelle Einrichtungen delegiert, sagte sie. Das christliche Profil der Diakonie gehe verloren, weil über die Hälfte der 50.000 Mitarbeiter keiner Kirche mehr angehörten.