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Archiv-Artikel

Kanzler-Spiele

Große Koalition von Politik und Glamour: Mit dem „Kanzleramt“ (20.15 Uhr) startet das ZDF die ehrgeizigste öffentlich-rechtliche Serie der letzten Jahre. Absolute Mehrheit: die Unterhaltung

Der Gesetzentwurf

Der ZDF-Fernsehrat möge beschließen: Nach dem schmissigen Dokumentarfilm Marke Guido Knopp und der nicht minder erfolgreichen Doku-Fiction, unter anderem verkörpert im „Deutschlandspiel“ von Knopp und Hans-Christoph Blumenberg, knöpfe sich das ZDF jetzt endlich die aktuelle Politik vor.

Wieder von Blumenberg gedreht, aber diesmal rein fiktional. Keine Hinterbänklerstory, sondern vorstoßend zum Zentrum der Macht. Am besten gleich ins „Kanzleramt“.

Alternativen: Keine, schließlich müssen die Öffentlich-Rechtlichen den Privatsendern und ihren Eventwundern endlich wieder zeigen, wer in diesem Land richtig Fernsehen machen kann. Also kein Zweiteiler, sondern Serie. Primetime, 12 Teile, entsprechender Etat, Starbesetzung. Der Tunnel von Lengede, sozusagen.

Traut sich das ZDF so etwas? Immerhin zog als Programmdirektor der von den Schwarzen durchgedrückte bisherige Leiter der ZDF-Innenpolitik auf den Lerchenberg. Das gibt Auftrieb.

Im Vermittlungsausschuss

Die Vorbereitungszeit hat es in sich: die vergangenen vier Jahre der Berliner Republik. Der Co-Autor auch: Martin E. Süskind war Büroleiter der Süddeutschen Zeitung in Bonn, von 1999 bis 2001 dann Chefredakteur der Berliner Zeitung. Ihn hatte das ZDF auch geholt, weil man keine Politparodie auf den Spuren der US-Erfolgsserie „The West Wing“ wollte. „Wir machen hier etwas für Deutschland noch nie so recht Ausprobiertes“, sagt auch „Kanzleramts“-Produzent Ulrich Lenze.

Die Erfolgsaussichten stehen gut: Schließlich hatte sogar Marc Conrad, der – nach nur dreieinhalb Monaten allerdings wieder abservierte – Interimschef von RTL, die Parole „Politik ist der neue Sex“ ausgegeben. Damit das Ganze Unterhaltung bleibt, steht hinter dem Kanzleramt nicht das „heute journal“ oder die ZDF-Politikabteilung, sondern Klaus Bassiners Hauptredaktion Reihen und Serien (Vorabend). Hier ist man auf beim Publikum höchst erfolgreiche Landarztpraxen und Forsthäuser spezialisiert. Warum also nicht mal ein Regierungsgebäude?

Die Abstimmung

Zwei-, dreimal dreht sich die animierte Kanzleramtsgrafik wie eine Pistole in einem James-Bond-Vorspann um sich selbst, der BUNDESKANZLER schaut ein wenig undurchschaubar durch seine rahmenlose Brille – und dann sind wir auch schon in der Mitte. In der Mitte von Berlin, der Macht, der Republik. Und auch in der Mitte der Story, denn das „Kanzleramt“ dreht zu Beginn jeder Folge mächtig auf. Körper, Autos, Weltanschauungen, irgendwas prallt immer zusammen. Um eins vorweg zu nehmen: Leiser wird’s nicht.

Das „Kanzleramt“ kann nur laut und große Geste. Der Kanzler spricht Machtworte und sonst wenig, der Kanzleramtschef zieht mit jedem Telefonat an einem der Fäden, mit dem das Land zusammengeflickt ist, der Redenschreiber springt vom Bett der verluderten Hauptstadtreporterin ins Krankenhaus zur gebärenden Ehefrau – wer da noch Atem hat, dem wird er durch dramatische Musik, schnelle Kameraschwenks und einen aus der „Dallas“-Moderne stammenden Splitscreen-Einsatz genommen.

Um es noch mal klar zu machen: Das „Kanzleramt“ ist großes öffentlich-rechtliches Wohnzimmerkino, das im Gegensatz zu den Privaten mit einem zweiten Handlungsstrang besser sieht. Zwei Schicksale werden pro Folge entschieden – ein persönliches (Hört der Bildungsminister mit dem Trinken auf? Freundet sich die Kanzlertochter doch noch mit ihren Bodyguards an?) und ein politisches (Wie kann die Fraktionschefin gestürzt werden? Und wie der Leiter des großen bundeseigenen Telekommunikations-Unternehmens?).

Auch wenn sie vielleicht nur von der aktuellen Bundesregierung mit ihren unzähligen Exfrauen und Ron Sommers im Keller abgeschaut ist – die Mischung aus großer Politik und kleinem Boulevard (oder war’s andersrum?) stimmt. Für die ganze Familie ist der Kanzler sogar zum allein erziehenden Vater geworden, der sich mit pubertierender Tochter herumschlagen muss. Spätere Erziehung nicht ausgeschlossen.

Und dann ist da noch die Starbesetzung von A (Atzorn, Robert: der Kanzleramtschef) bis B (Behrend, Klaus J.: der Kanzler). Gerade bei Rita Russek als Über-Büroleiterin und Herbert Knaup als herrlich abgerocktem Regierungssprecher hat man das Gefühl, dass sie die Rollen ihres Lebens spielen. Für Glamour sorgen Claudia Michelsen als Grace Kelly der Außenpolitik und Heikko Deutschmann als Bürohengst mit Vespa, Chucks und außerehelicher Affäre. Nur Behrendt bleibt hölzern-hohl. Aber vielleicht ist das nur folgerichtig bei einer Regierung, deren Wohnsitz in 11011 Berlin liegt. Die Null in der Mitte.

Denn natürlich übt sich die Serie in Abbildung. Der Polit-Hallodri an der Spitze, die grau gescheitelte Eminenz im Kanzleramt und das nadelgestreifte Kostüm im Vorzimmer – ein sonst was, wer nicht an Schröder, Kanzleramtschef Frank Steinmeier und Büroleiterin Sigrid Krampitz dabei denkt.

Wie viel Wirklichkeit in der Serie steckt? Das ist die Frage, die sich bei diesem reinen Unterhaltungsformat natürlich verbietet – und sich doch immer wieder aufs hübscheste stellt, etwa wenn die Figuren auf ihrem stets mehr gerannten als gegangenen Weg durchs Kanzleramt an einer Kopf stehenden Baselitz-Skulptur vorbeikommen. Steht so was nicht auch im echten …? „Nichts ist so, wie wir es darstellen. Aber alles könnte so sein.“ Ausnahmsweise trifft Co-Autor Süskind mit seiner sibyllinischen Art den Kern der Serie.

STEFFEN GRIMBERG

HANNAH PILARCZYK