: Kritisch bleiben
Das Krebsforum Stuttgart sieht sich vom SWR verunglimpft. Der Sender hatte unter dem Titel „Scharlatane und Pseudowissenschaftler“ über den gemeinnützigen Verein berichtet und ihm vorgeworfen, dass er Heilungsversprechen abgebe. Das Krebsforum hat den Ministerpräsidenten eingeschaltet
von Sandro Mattioli
Hätte Silke Schmalfuß-Soth gewusst, unter welchem Titel ihr Interview in der SWR-Sendung „Odysso“ laufen würde, hätte sie sich wohl kaum zu dem Gespräch bereiterklärt. So aber sah sie die Anfrage der Redaktion als eine willkommene Gelegenheit, die Arbeit des von ihr gegründeten Krebsforums Stuttgart darzustellen. Der als gemeinnützig anerkannte Verein berät Krebskranke über ergänzende Behandlungsmöglichkeiten.
„Wir können niemandem ein Heilungsversprechen geben“
Als Silke Schmalfuß-Soth am 23. September vergangenen Jahres die Sendung mit dem Interview sah, stieg ihr die Zornesröte ins Gesicht. Wie zornig sie über den Titel „Scharlatane und Pseudowissenschaftler“ gewesen sein muss, wird in der Beschwerde deutlich, die sie dem SWR-Intendanten Peter Boudgoust schickte. „Erschreckend inkompetent“ sei die Sendung gewesen, eine einseitige und radikale Hetzkampagne, die eines öffentlich-rechtlichen Senders absolut unwürdig sei, schrieb sie. „Bisher habe ich im Dritten Fernsehen eine so schlecht recherchierte Sendung wie diese noch nicht erlebt.“ Sie habe den Sender bisher geschätzt, doch die Sendung habe die Arbeit des Zentrums für Information, Schulung und Therapieberatung „diffamiert und kriminalisiert“, schrieb Schmalfuß-Soth dem wichtigsten Mann des SWR. Dies sei „für die ehrenamtlich tätigen Mitglieder des Krebsforums sehr verletzend“ gewesen. Sie habe sich Mühe gegeben, den ganzheitlichen Beratungsansatz des Krebsforums darzustellen.
Vor allem aber störte sich Silke Schmalfuß-Soth an dem Kontext, in den die Passagen aus ihrem Gespräch gesetzt worden waren. In dem Beitrag war zunächst ein Mediziner einer Palliativstation zu Wort gekommen, der jährlich mehrere hundert Menschen betreut, „gegen deren Krebsleiden die moderne Medizin machtlos“ sei, so der SWR-Text. Je verzweifelter deren Situation sei, sagt der Münchner Arzt, desto mehr Patienten sprächen ihn auf komplementäre, also ergänzende Therapien an.
Manche dieser Therapien seien als Unterstützung sinnvoll, fasst der Autor des Beitrags das Interview mit dem Arzt weiter zusammen. Doch es gebe auch zweifelhafte Ansätze. Wer an Krebs erkrankt sei, klammere sich an jeden Strohhalm. „Auch dann, wenn die Idee dahinter nur ein bisschen plausibel erscheint“, führt der Beitrag weiter aus. „So etwa die These, dass Schicksalsschläge Krebs auslösen. Dies glaubt Silke Schmalfuß-Soth, die in ihrem Krebsforum auch Patienten berät.“
Die pensionierte Regierungsdirektorin hat das, berichtet sie, tatsächlich am eigenen Leib bereits erlebt. Sie war Opfer eines Einbruchs geworden. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass mich das so verletzt, so trifft“, sagt sie in dem Film. In diesem Ereignis sieht sie einen der Auslöser ihrer Krebserkrankung. Auf vielerlei Art hatte sie zuvor schon Berührung mit Krebskranken gehabt – in der eigenen Familie gab es mehrere Fälle, außerdem hat sie früher als Personalchefin einer Behörde gearbeitet und ist immer wieder mit Tumorerkrankten in Kontakt gekommen.
Erheblich an Schärfe gewinnt die Auseinandersetzung zwischen dem SWR und dem Krebsforum, weil der Sender Schmalfuß-Soth überdies vorwirft, Heilungsversprechen abzugeben. Der SWR beruft sich dabei auf folgende Aussage der Stuttgarterin: „Wenn wir diese Muster, die uns krank machen, ändern, wenn wir die auflösen können, dann kann unter Umständen eine Heilung eintreten. Das hängt damit zusammen, dass die tiefere Ursache für Krebs nicht auf der Körperebene liegt, sondern, was (der Psychoanalytiker) C. G. Jung schon wusste, auf der Seelenebene.“
Im Film folgt dann die Interpretation dieses Satzes, die Schmalfuß-Soth heftigst kritisiert, die vom SWR aber weiterhin für zutreffend gehalten wird: „Solche Heilsversprechen sind selbst Medizinern zu viel, die alternativen Therapieformen gegenüber aufgeschlossen sind.“ Das sei wahrheitswidrig, sagt Silke Schmalfuß-Soth, sie und ihr Team gäben den Ratsuchenden nie ein Heilungsversprechen. „Wir können niemandem ein Heilungsversprechen geben, das muss der Patient selbst tun“, sagt sie. Sie und ihre Mitarbeiterinnen könnten nur Anregungen geben, eine Perspektive aufzeigen.
Krebsforum legt Programmbeschwerde ein
An dieser Stelle hätte die Auseinandersetzung schon erledigt sein können, hätte der SWR zugesagt, den Beitrag so nicht mehr zu zeigen und vor allem nicht mehr zu behaupten, das Krebsforum verspreche die Heilung von der Krankheit. Doch stattdessen mussten sie und ihr Team vier Wochen auf eine Antwort aus der Sendeanstalt warten – und erhielten diese erst nach einem erneuten Schreiben.
Der SWR verteidigte darin seine Sendung. Der sie interviewende SWR-Journalist habe weitere Experten befragt, denen zufolge der Einfluss der Psyche auf die Entwicklung eines Tumors „untergeordnet beziehungsweise nicht vorhanden“ sei, war zu lesen. Dies war im Übrigen nicht der Kern der Beschwerde, ging es doch um das Heilungsversprechen, das das Krebsforum den Hilfesuchenden angeblich mache. Der SWR, schrieb Boudgoust, werde der Forderung nicht nachgeben, künftig nicht mehr zu behaupten, das Krebsforum mache Heilungsversprechen. Boudgoust gestand aber zu, mit dem „zugegebenermaßen etwas provozierenden Titel vielleicht etwas übers Ziel hinausgeschossen“ zu sein. Damit eskalierte der Streit zwischen der kleinen Krebsberatungs-Initiative und dem SWR.
Zunächst befasste sich der Fernsehausschuss als zuständiges Aufsichtsratsgremium mit dem Fall, nachdem Silke Schmalfuß-Soth dort eine Beschwerde eingereicht hatte. Der Beitrag entspreche den im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geltenden Maßstäben, schrieb der Vorsitzende des Gremiums, Wolfgang Sauer. Ihre Programmbeschwerde sei ohne Gegenstimme abgewiesen worden. Eine Begründung dafür gab es nicht. Daraufhin nahm sich Silke Schmalfuß-Soth einen Rechtsanwalt und kündigte gegebenenfalls rechtliche Schritte an. Ihr Ziel nach wie vor: der SWR solle nicht mehr behaupten, das Krebsforum gebe Heilungsversprechen. Und auch den Titel der Sendung, „Scharlatane und Pseudowissenschaftler“, von Silke Schmalfuß-Soth als Schmähkritik empfunden, lehnt sie weiterhin ab. Inzwischen ist auch das Staatsministerium mit der Sache befasst, wo der Rechtsanwalt von Silke Schmalfuß-Soth eine Rechtsaufsichtsbeschwerde erhoben hat. Und dort liegen die Papiere jetzt.
„Radikale Hetzkampagne“ gegen komplementäre Medizin
Schmalfuß-Soth fühlt sich vom Autor des SWR-Beitrags missverstanden. Der Beitrag sei eine radikale Hetzkampagne gegen die komplementäre Medizin, sagt sie. Es besteht eigentlich kein Grund, die beiden Therapieansätze so gegeneinander zu stellen, wie es in dem Film passiert, wo alternative Therapieansätze kaum ernsthaft wahrgenommen und stattdessen in die Ecke der Scharlatanerie gedrängt werden. Dabei müssen sich die Schulmedizin und komplementäre Therapien gar nicht so unversöhnlich gegenüberstehen, wie es hier den Anschein nimmt.
Denn selbst die sogenannte Spontanheilung ist inzwischen Gegenstand der (schul-)medizinischen Forschung. Früher konnte man sich beispielsweise nicht erklären, warum manche Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte, genesen. Nach neueren Erkenntnissen kommt aber so eine „unerwartete Heilung“ vor allem bei Tumoren häufiger vor als bislang angenommen. Mediziner halten sie jedoch nicht für ein Wunder, sondern sehen in ihr eine mögliche Form des natürlichen Krankheitsverlaufs.
Die Prozesse, die zu solchen Heilungen führen, sind allerdings noch lange nicht ausreichend untersucht, auch wenn in der medizinischen Forschungsliteratur zahlreiche Spontanheilungen dokumentiert sind. Die erste Fallsammlung stammt aus dem Jahr 1918, mehrere folgten im Lauf der Jahrzehnte. Es sind komplexe Vorgänge im Körper, die zu einer Genesung führen. Es war vor allem eine amerikanische Biochemikerin, Caryle Hirshberg, die sich mit der Forschung auf diesem Gebiet hervorgetan hat. Seit mehr als zwanzig Jahren untersucht sie das Thema. Der Krebsforscherin war aufgefallen, dass spontane Heilungen in der Forschung vernachlässigt werden – obwohl man aus ihnen wertvolle Einsichten in den Heilungsvorgang bekommen könnte.
Der Mensch als sehr komplexe Maschine
Hirshberg hat in der Folge eine umfassende Bibliografie zur Forschung über Spontanheilungen erstellt. In den 1990er Jahren interviewte sie zudem 50 Krebskranke, die vor dem Tod gestanden hatten, dann aber doch wieder gesund geworden waren – ohne dass Mediziner es erklären konnten. Die Forscherin achtete auf die psychosozialen Faktoren bei den Genesungen: Gab es Eigenschaften in der Persönlichkeit der Kranken, die eine Heilung förderten? Welche Rolle nahm das soziale Umfeld ein?
Hirshberg schloss aus den Aussagen der Befragten, dass die Anwesenheit eines vertrauten Partners eine Spontanheilung fördern kann. Außerdem sei es hilfreich, wenn die Erkrankten positive genauso wie negative Gefühle ausdrücken können. Neben der eigentlichen Krebstherapie seien körpereigene Kräfte für die Heilung mitverantwortlich, meint die Forscherin. Die Geheilten seien „mit etwas in Berührung gekommen, was für sie wesentlich ist“, sie hätten „Zugang zum innersten Kern ihrer Persönlichkeit“ gefunden. Doch sie erhielt für diese Thesen eher Gehör in esoterischen Kreisen als in der wissenschaftlichen Fachwelt.
Silke Schmalfuß-Soth sagt, dass die Schulmedizin noch immer auf dem Newton'schen Weltbild beruhe. „Der Mensch ist eine Maschine, und wenn sie nicht mehr funktioniert, wird sie repariert.“ Das Problem ist nur, dass diese Maschine sehr komplex ist. „Sie können das nicht mechanisch erklären und auch nicht monokausal, was im Körper passiert. Das ist alles multifaktoriell.“
Partnerschaft ist ein Faktor bei der Genesung
Die medizinische Forschung hat sich inzwischen darauf eingestellt. Es gibt einige neue Ansätze, wie das schwer Erklärliche aus Sicht der Medizin besser erklärbar wird. Heute werden viele Erkrankungen nicht mehr allein aus der Warte einer Fachdisziplin wahrgenommen und untersucht, sondern aus mehreren Perspektiven. Ein Beispiel dafür ist die Psychoneuroimmunologie, eine recht junge Disziplin, die sich auch dem Entstehen von Krankheiten widmet. Früher dachte man, das Immunsystem arbeite autonom. Heute weiß man, dass es mit der Psyche und dem Nervensystem interagiert. Und wenn diese Interaktion gestört ist, fördert das die Entstehung von Krankheiten. Das ist recht nah an dem, was Silke Schmalfuß-Soth und ihr Team vom Krebsforum den Ratsuchenden sagen – und wissenschaftliche Gegenwart. Und heute weiß man auch, dass zwischenmenschliche Beziehungen ein Faktor bei der Genesung von Krankheiten sind.
Joachim Bauer, Psychoneuroimmunologe an der Universität Freiburg, beschreibt in seinem Buch „Das Gedächtnis des Körpers“, dass die Beziehungserfahrungen vom Gehirn evaluiert und dann in biologische Signale in Form von Botenstoffen umgesetzt werden. Diese Botenstoffe regeln die Aktivität einiger Gene und wirken sich so auf die Gesundheit aus. Auch Bauer glaubt nicht an Wunderheilungen. Doch offensichtlich passiert im Körper mehr bei der Heilung, als dass ein Chemomedikament (oder Bestrahlungen) Krebszellen abtötet.
Bis in die Redaktion von „Odysso“ hat sich das offenbar noch nicht herumgesprochen. In den letzten Minuten der „Scharlatane“-Sendung widmet sich der SWR einem Scharlatan-o-Meter, einem fantastischen Gerät, mit dem man Täuschungen anhand von drei Fragen erkennen soll. Platz für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit alternativen Therapiemethoden, die eine herkömmliche Krebstherapie ergänzen könnten, wäre also gewesen. Doch dann beendet der Moderator die Sendung: „Ich hoffe, wir konnten Ihren Blick da schärfen. Bleiben Sie kritisch!“