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Archiv-Artikel

Mückenstiche im November

UNTERWEGS Auf der Solo-CD des „Rantanplan“-Sängers Torben Möller-Meissner trifft Südseeromantik auf Großstadtexpressionismus. Das hörenswerte Ergebnis ist eine eigenartig geerdete Form von Fernweh

Möller-Meissner ist irgendwas zwischen einem Lyriker und einem Erzähler

Das Hirn von Torben Möller-Meissner muss man sich als Karussell vorstellen, eines von den alten, die sich nur drehen und sonst nichts. In diesem Hirnkarussell sitzen verschiedene Gestalten und werden ins Bild gedreht. Der Arzt und Lyriker Gottfried Benn ist dabei, Captain Kirk, Fidel Castro, Joachim Ringelnatz, Gudrun Pausewang und Bonnie & Clyde. Alle haben sie einen gleichberechtigten Platz, und nachdem sie sich eine Zeit lang gedreht haben, leuchtet über dem Kassenhäuschen ein Schild auf: „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“.

Das könnte dann der Moment sein, in dem der Hamburger Torben Möller-Meissner das Notizbuch zur Hand nimmt. Im Notizbuch nehmen seine Songs ihren Anfang. Im Notizbuch trägt er sie zur Hamburger Ska-Punk-Band „Rantanplan“, bei der Möller-Meissner singt. Im Notizbuch stehen sie dann mitunter Jahre. Ein paar dieser Songs hat Möller-Meissner alleine aufgenommen und nun auf CD veröffentlicht. Nur Möller-Meissner an der E-Gitarre, die Songs, die Texte und gelegentlich dezente Soundtupfer – Gebläseorgel, Bongos und Bouzouki. Letzteres ist eine Langhalslaute, wie sie gerne in Griechenland und Irland eingesetzt wird. Das ist weniger für die Musik, als für den Spirit interessant. Die CD heißt „Volle Leere Ferne Nähe“.

Möller-Meissner kommt vom eingängigen, melodiösen Punk, und wenn er sich auf seiner Solo-Platte selbst auf der E-Gitarre begleitet, dann sind die Riffs treibend, rockig und geerdet. Die Harmonien der Songs aber sind geprägt von Fernweh, und die Texte sind eine wilde Mischung aus apokalyptischer Vision, Seemannslied, Soldatenlied, Liebeslied und expressionistischer Lyrik. Die Basis von allem ist eine Abgeklärtheit, die nicht bitter, sondern eigenartig versöhnt wirkt. Möller-Meissner singt „Revolution und Rock – hat schon mal nicht geklappt“, aber er weiß schon, dass sich das Karussell trotzdem weiterdreht. Möller-Meissner ist 36 Jahre alt.

Es gibt einen Subcomandante, mit dem Möller-Meissner im Song „Hallo, Hure Hamburg“ in der Hammaburg sitzt, am Strand Rotwein trinkt und die Torpedos lädt. Es gibt Milzbrand und tote Rinder im Fluss, es gibt einen Biber mit Fieber und eine Sybille, die „liebt die Idylle samt Stille und lebt in einer Höhle neben der Sondermülle“ (sic!). So heißt es im Song „Mückenstiche Ende November“, dem stärksten der CD.

Für die Veröffentlichung hat Torben Möller-Meissner seinen Namen erweitert, er hat das „Möller“ dazu genommen, früher hieß er nur Meissner. Möller, sagt er, hieß die Familie seiner Mutter, so hieß sein Großvater und sein Urgroßvater. Der Urgroßvater wurde als Widerständler von den Nationalsozialisten für zwei Jahre in einem KZ interniert, während der Großvater auf Hitlers Vorzeige-Schlachtschiff, der „Bismarck“, in den Krieg dampfte. Möller-Meissners Großvater überlebte als einer von wenigen den Untergang der „Bismarck“.

Gesprochen hat er nie darüber und seinen Job in der Nachkriegszeit verlor er wegen Kohlenklau. Er sei sein Kapitänsopa gewesen, sagt Möller-Meissner, hatte ein Boot und einen Wohnwagen. Überhaupt seien die Möllers diejenigen in der Familie gewesen, die tendenziell aus dem bürgerlichen Rahmen fielen. Er schlage mehr nach den Möllers aus, deshalb wollte er sie auch im Namen haben, sagt Möller-Meissner, der neben der Musik im Trockenbau arbeitet, damit das Geld reicht.

Möller-Meissner mag Geschichten und ist selber irgendwas zwischen einem Geschichtenerzähler und einem Lyriker, mal kommt er vom Abenteuerroman, mal vom Großstadtexpressionismus, mal vom Poetry Slam. Das alles geht unangestrengt, es scheint sich in seinem Kopf im Lauf der Zeit so zurechtgeruckelt zu haben. Der Verweis auf die eigene Biographie qua Doppelname ergibt Sinn, obwohl es auf der CD in keiner Zeile explizit um die Großväter geht. Aber es geht darum, von etwas geprägt worden zu sein – und trotzdem ohne Attitüde auszukommen. KLAUS IRLER

Möller-Meissner: Volle Leere Ferne Nähe. Tapete Records