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Archiv-Artikel

Geständnis durch Folter ist tabu

EUROPA Der Gerichtshof für Menschenrechte unterbindet die Auslieferung eines Islamisten. Menschenrechtler sind dennoch enttäuscht

Auch der König und der folternde Geheimdienst Jordaniens stimmten zu

VON CHRISTIAN RATH

FREIBURG taz | Das Urteil aus Straßburg geht zugunsten von Omar Othman, genannt Abu Qatada. Der radikale Islamist darf von Großbritannien nicht nach Jordanien abgeschoben werden, da ihm dort ein unfairer Prozess drohe, bei dem auch erfolterte Aussagen verwendet werden, entschied am Dienstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Amnesty International zeigte sich dennoch enttäuscht über das Urteil, weil der Gerichtshof die Zusage Jordaniens, Abu Qatada selbst werde nicht gefoltert, akzeptierte.

Abu Qatada ist ein radikaler Jordanier, der 1993 nach England flüchtete und dort Asyl erhielt. Wegen seiner Kontakte zu al-Qaida wollte man ihn dort allerdings ausweisen und in sein Heimatland abschieben. In Jordanien wird er auch erwartet, weil er in seiner Abwesenheit bereits wegen terroristischer Verschwörungen verurteilt worden war. Sollte er zurückkehren, erwartet ihn ein neuer Prozess. Der Jordanier klagte mit wechselndem Erfolg durch die britischen Instanzen. Er machte geltend, ihm drohe in Jordanien die Folter. Außerdem sollen in dem geplanten Terrorprozess Aussagen seiner gefolterten mutmaßlichen Mitverschwörer gegen ihn verwendet werden. Die britische Regierung ließ sich von Jordanien diplomatisch zusichern, dass Abu Qatada nicht gefoltert wird.

Der Gerichtshof für Menschenrechte ließ diese Zusage nun gelten. Sie sei ein ausreichender Schutz gegen Folter in Jordanien und nicht nur mit Zustimmung des jordanischen Königs, sondern auch des folternden Geheimdienst GID erfolgt. Die unabhängige jordanische Menschenrechtsorganisation Adaleh Center könne auch jederzeit überprüfen, wie es Abu Qatada gehe. Damit blieb der Gerichtshof seiner bisherigen Linie treu, solche diplomatischen Zusicherungen nach den Umständen des Einzelfalls zu bewerten. Diesmal stellt er aber noch einen Kriterienkatalog auf, welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind (siehe rechts). In zahlreichen Fällen der letzten Jahre hatte der Straßburger Gerichtshof solche Zusicherungen beanstandet. In einem zweiten Fall akzeptierte der EGMR gestern aber auch die Auslieferung zweier Mörder an die USA, nachdem diese zugesichert hatten, nicht die Todesstrafe zu verhängen.

Amnesty International (ai) hatte gehofft, dass der EGMR diesmal solche diplomatischen Zusicherungen generell als unzureichenden Schutz gegen Folter einstuft. „Solche Vereinbarungen sind ineffizient und nicht verpflichtend“, sagte Franziska Vilmar, die Asylexpertin von ai Deutschland. „Die beteiligten Staaten haben kein Interesse, Verstöße gegen die Verpflichtung aufzudecken. Und auch ein trotz Zusicherung Gefolterter wird möglicherweise aus Angst vor weiteren Repressalien schweigen.“ Deutschland hat gegenüber dem UN-Ausschuss zur Verhütung von Folter erklärt, schon seit 2007 nicht mehr auf solche Zusicherungen zu vertrauen.

Erfolg hatte Abu Qatada nun in einem anderen Punkt. Weil bei dem drohenden Prozess in Jordanien auch Aussagen verwendet werden sollen, die von anderen Gefangenen erfoltert wurden, sieht der EGMR das Recht auf einen fairen Prozess verletzt. In solchen Fällen sei eine Abschiebung grundsätzlich ausgeschlossen. Jordanien habe auch keine Zusicherung gegeben, auf solche Aussagen zu verzichten. Allerdings könnte eine entsprechende Zusage nachgeliefert werden.

Der Gerichtshof für Menschenrechte hat an diesem Punkt ein Grundsatzurteil beschlossen, was allerdings überrascht. Schließlich sieht die UN-Anti-Folterkonvention schon seit Jahrzehnten vor, dass Verurteilungen nicht auf erfolterte Aussagen gestützt werden dürfen. Es ist allerdings nicht selbstverständlich, dass deshalb nicht ausgeliefert werden darf. So wurde 2004 Metin Kaplan, der Kopf des Kölner Kalifatstaats, in die Türkei abgeschoben, obwohl ihm dort ein Strafprozess mit erfolterten Aussagen drohte. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig billigte die Abschiebung. Nur Folter, unmenschliche Haftbedingungen oder ähnlich schwerwiegende Gefahren hätten sie verhindern können.

Der nun erfolgte Abschiebestopp für Abu Qatada stößt in England auf Protest und befeuert den bei Konservativen weit verbreiteten Unmut über den Gerichtshof für Menschenrechte. Längst wird in Großbritannien darüber diskutiert, ob das Land aus der Menschenrechtskonvention aussteigen soll, um weitere Eingriffe in seine Souveränität zu verhindern. Die Straßburger Richter betonten deshalb ausdrücklich, dass auch britische Gerichte, wie der High Court, zwischenzeitlich die Abschiebung Abu Qatadas für unzulässig erklärt hatten.